Ach, Heiligabend
Singen, schenken, Glühwein trinken, dazu ein paar mehr oder wenige kleine Katastrophen: so schön ist das Fest
Vorsicht, zerbrechliche Kugeln! Foto: Engel
Ach, Heiligabend: Wunderbar, wenn man da Kinder hat oder noch selber eins ist, wenigstens ein bisserl. Wenn irgendwann nach 17:00 Uhr das Glöckerl bimmelt und man ins Zimmer stürmt, aus dem das Christkind grad noch so irgendwie hinaus huscht, so dass die kleine Tochter grad noch einen goldblonden Haarschopf sieht oder sich einbildet zu sehen; und dann da der Baum ist, der glitzert und glänzt, und unter ihm die ganzen Packerl, die bunten: dann ist das Schlimmste überstanden. Weil vorher ist es oft schlimm.
Oft gehts damit los, dass der Nachwuchs heimkommt, und zwar vom traditionellen Glühweinausschank und sehr stark erheitert. Generationen von Straubingern erinnern sich dran, wies dann daheim gekracht hat. „Das Erste“, berichtet uns die Gabi, „war a Watschn von der Mutter. Und das Zweite war die Frage, ob ich spinn'“, da war die Bescherung schön. Jahre später hatte die Gabi selber eine Tochter, und an Heiligabend einen Hals: „Der war so dick“, erzählt die Gabi und breitet die Arme einen ganzen halben Meter aus. Denn die gesamte Großfamilie war da, die Omas, Opas, Onkeln, Tanten; und die Tochter kam vom Glühweinausschank heim, so stark erheitert wie damals ihre Mutter.
Eine Watschn gab es für die Tochter nicht, so etwas tut die Gabi nicht. Aber sie war schon ziemlich grantig, denn stark erheiterte Töchter sind Müttern peinlich, wenn die gesamte Großfamilie da ist. „Kann sein“, lächelt die Gabi sinnend, „dass ich auch ein bisserl neidisch war.“ Glühweinausschank am Heiligabend, früher vorm Gala, heute woanders, ist etwas Feines, aber für den Familienfrieden manchmal ungut: Heiligabend unterm Baum.
…und dann hat es “Rumms!” gemacht!
Schon das Baumaufstellen ist oft problematisch. Hören wir nun, was der allseits bekannte Vogelbernd aus seiner Kindheit berichtet: Wie seine Mutter zu seinem Vater noch extra gesagt hat: „Aber tu fei den Baum gscheid standfest machen.“ Christbaumkugeln aus Glas hatte sie gekauft, „a jede einzelne“, berichtet der Vogelbernd in vermutlich nur ganz leichter Übertreibung, „war teurer als das teuerste Geschenk unter dem Baum.“ Dann hat es erst „rumms!“ gemacht und dann „klirr!“ Der Baum war nicht gut aufgestellt.
Dann war es kurz still; sehr kurz und sehr still; eine Art Schockstarre vermutlich, und dann sehr, sehr laut. Und dann war für den Rest des Abends stille Nacht. Der Vater wanderte aus, tief hinunter in den Keller, wo er verbissen und stundenlang die Eisenbahn des kleinen Bernd – natürlich Märklin - in eine Köf-Diesellok umgebaut hat, derweil oben im Wohnzimmer Christbaumkugeln und Stimmung in doch arg vielen Scherben lagen.
Der Christbaumständer von Klaus Krinner war damals leider noch nicht erfunden. Vielleicht wäre Heiligabend bei Vogels sonst anders verlaufen. Für viele Väter war diese Erfindung die Rettung. Bis dahin hatten sie viel kostbare Lebenszeit damit verbracht, den Baum aufzustellen, auszurichten, zu justieren, zu fixieren; nie gelang es. Immer stand der Baum schief.
“Krinner, der Retter, ist da!”
Und immer waren Frau und Kinder dabei, die das hilflose Treiben verfolgten, erst heiter, dann genervt, was nicht dazu beitrug, die Stimmung des verzweifelt sich Mühenden zu heben. Im Gegenteil. Doch dann kam Krinner, und die Väter sangen: „Krinner, der Retter, ist da!“ Obwohl Väter unterm Baum eher sehr ungern singen.
Krinners Erfindung hilft leider nicht immer. Der Joschi Krönner hat mir erlaubt zu erzählen, wie einmal trotz Krinner beim Krönner der Christbaum fiel. Zusammen mit seiner Tochter hatte er ihn in Krinners Erfindung gestellt und wunderbar behängt; aber am Ende des Schmucks war noch viel Baum übrig. Da gingen sie hinunter zum nahen Christkindlmarkt, um Schmuck nachzukaufen. Bei ihrer Wiederkehr lag der Baum da wie damals bei den Vogels. Er war leider so krumm gewachsen, dass er Übergewicht bekam. Er stürzte um. Denn nicht einmal Krinners Erfindung kann den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.
Wir unterstellen nun, dass es der Joschi Krönner selber war, der den Baum ausgesucht hat. Falls das so war, wäre es typisch. Männer – und Väter ganz besonders – agieren oft irritierend seltsam, wenn es um den Christbaum geht. Dazu ein glaubwürdiger Bericht über einen Vater, der ein Faible hat für große Bäume, und zwar für solche direkt aus dem Wald. Dieses nun ist der Bericht seiner Tochter, die wir Steffi nennen wollen, weil sie wirklich so heißt:
Kurz vor Heiligabend zieht er los, in einen Wald, und sie darf mit. Dort steht er dann und lugt aus nach den allerhöchsten Tannen. „15 Meter mindestens müssen sie sein“, behauptet seine Tochter. Wenn er so hohe Tannen gefunden hat – und im Wald findet man immer mindestens eine solche – dann späht er hinauf in den 15 Meter hohen Wipfel und fragt, ob sie, die Steffi, glaube, dass die Spitze ganz oben eine schöne Spitze wäre. „Und dann sagt er“, sagt seine Tochter: „'weil dann könnt ma's fällen und als Christbaum verwenden'.“ Sie rät dann immer eher davon ab, einen 15 Meter hohen Baum zu fällen. Dann besorgt er irgendwo anders einen Baum. Der muss mindestens 4,50 Meter groß sein.
Typisch: Wer als Einziger nix schenkt
Den bringt er heim; aber die Zimmerhöhe ist leider deutlich unter drei Metern. „Dann“, sagt seine Tochter, „schneidet er oben die Spitze ab. Damit der Baum ins Zimmer passt.“ Dann tritt die Mutter auf. Sie sieht die Spitze, die abgesägt am Boden liegt, und dann wird es heiter. „So war das oft“, sagt Steffi fröhlich und erzählt fröhlich weiter, wie ihr Vater – dank Krinners Erfindung – einmal den Baum mehr oder weniger blitzschnell aufgestellt hat, und mit ihrer Hilfe, weil sie ist ja eine gute Tochter ist.
Er nahm den Baum, stellte ihn prüfend auf den Boden, denn er wollte sehen, wie er sich denn mache an dieser Stelle. Dann stellte er fest, dass kein Christbaumständer im Zimmer war. „Da hat er gsagt: 'Hoit amoi schnell', und is' schnell naus“, sagt Steffi, „und dann bin i da gestanden.“ Erst fünf Minuten, dann zehn. Der Arm begann nun zu schmerzen. Nach 20 Minuten kam zufällig die Mutter herein. „Des kann doch ned so lang dauern, bis ma an Christbaumständer ausm Keller holt?“, sagte die Steffi. „Wieso Keller?“ fragte die Mutter erstaunt, „der Babba is zum Baumarkt! Weil er dort an neuen kauft.“
Doch irgendwann steht jeder Baum, und irgendwann klingelt das Glöcklein. Dann kann es sein, so wird von einem Sohn berichtet, dass der Vater Folgendes feststellen muss: Die Mama hat ihm was geschenkt. Und das, obwohl fest ausgemacht war, dass sich die Eltern gegenseitig nix schenken. Der Vater, ein Mann von jenem alten Schlag, für den ein Wort noch ein Wort ist, hat sich, Ehrensache, strikt daran gehalten. Die Frau, die wortbrüchige, jedoch ganz offensichtlich nicht. Allein das stimmt ihn bereits verdrießlich: weil er nun da steht als derjenige, der als Einziger nix schenkt.
..und dann der Rumms mit der Oma!
Er öffnet das Geschenk. Es ist ein Gutschein für ein Wellness-Wochenende in St. Englmar. „Er hat nix gehabt“, sagt der Sohn, „weils so ausgemacht war. Und Wellness-Wochenende mag er sowieso ned.“ Für diesen Vater war das Fest gelaufen, und man kann nicht ernsthaft erwarten, dass einer, den ein Wellness-Wochenende in St. Englmar erwartet, bei „Oh, du fröhliche“ überhaupt noch mitsingt.
„Singts ihr dahoam an Weihnachten?“, fragt zum Beispiel ein bekannter Sprechwirt und bekennt: „Des mog i überhaupt ned.“ Zuhören gerne, sagt er, selber singen lieber nicht, weil er, wie fast jeder Mann, schwer davon überzeugt ist, dass er das nicht kann. Das ist immer eine sehr spannende Situation: wenn die Mama, alle Jahre wieder, den Versuch macht und ein Lied anstimmt. Dann wandert ihr Blick von einem ihrer Lieben zum anderen, der Blick fleht, „etz sing wenigstens du mit!“. Aber der Papa singt schon seit dem Stimmbruch nicht mehr und der Nachwuchs war zu lange beim Glühweinausschank.
Ein bekannter Straubinger - ohne Namen, aus Rücksicht auf die Oma - hat uns in Zusammenhang mit einem Heiligabend-Schwips verraten, wie in seiner Kindheit ein Schwips einmal seine Festfreude ramponiert hat. Eine Carrera-Bahn hatte das Christkind gebracht, mit Looping, was ihn sehr erfreut hat. Und auf dem Esstisch stand Punsch, was die Oma erfreut hat. Nach viel Punsch ging die Oma dahin, wo man manchmal hinmuss. „Dann war ein Riesen-Rumms“, sagt der bekannte Straubinger, „dann ist die Oma daglegen; alles war hin, und der Looping war total zerquetscht.“ Manchmal geht das Schlimmste erst richtig los, wenn das Glöckerl bimmelt. Frohe Weihnachten!
Fröhliche Weihnacht!
Wenden wir uns dem alltäglichen Wahnsinn zu. Der besteht im Moment natürlich aus Weihnachten, und insbesondere in der Frage: Was schenken?
Wenden wir uns dem alltäglichen Wahnsinn zu. Der besteht im Moment natürlich aus Weihnachten, und insbesondere in der Frage: Was schenken?
Es wird viel falsch gemacht in dieser Frage. Allgemein geht man davon aus, dass es die Männer sind, die alles falsch machen. Da ist was dran. Eine britische Supermarktkette hat einmal eine Umfrage unter 3 000 Frauen gemacht. Es kam heraus, dass 90 Prozent aller Männer es nicht schaffen, ihrer Frau ein passendes Geschenk zu machen. Zu ihnen gehört auch ein guter Bekannter. Seine Frau stand vor dem Baum und betrachtete das Geschenk, das er ihr zugedacht hatte, es war länglich und gut verpackt. Wie sie später gestand, hatte sie dabei nur einen Gedanken: „Bitte, lieber Gott, lass es keine Ski sein.“ Natürlich waren es Ski: Fröhliche Weihnacht!
Dabei, sagen zwei Verkäuferinnen in einer Stadtplatz-Boutique, ist nichts leichter als einer Frau ein Weihnachtsgeschenk zu machen: „Schmuck!“, sagen sie, „Handtasche! Uhr! Reise! Theaterbesuch! Was Persönliches halt.“ Es könnte so einfach sein. Doch was schenkt der Mann? Ski. Toaster. Mixer. Bügeleisen. „Wenn ich ein Haushaltsgerät krieg“, sagen dazu die beiden, „flippe ich aus. Das ist ja ein Arbeitsgerät!“ Und Arbeit, die will man ja nicht einmal geschenkt.
Die Grundregel der Verbotenen Weihnachtsgeschenke
Doch auch wenn ein Mann denkt, dass er Persönliches schenkt, denkt er oft falsch. Einmal hat ein solcher seiner Frau einen Wellness-Gutschein für St. Englmar geschenkt, das war völlig falsch. „Gfall ich Dir ebba nimmer?“, hat die Frau ihn gefragt, es war nicht die Reaktion, die er erhoffte. Erfahrene Männer wissen deshalb, was zu Weihnachten gar nicht geht: „Die Grundregel der Verbotenen Weihnachtsgeschenke an eine Frau“, verrät uns ein Kenner der weiblichen Psyche: „Niemals Schlankmach-Bodys und Pushup-BHs! Niemals Schminksets! Und: niemals ein Bügeleisen und Bügelbrett!“
Aber was dann? Was, wenn einem Schmuck, Reise, Uhr einfach nicht einfallen will? Dann denkt der Mann hin und wieder her, ratlos und voller Verzweiflung, bis zum Samstag vor Heiligabend, oder, noch schlimmer, bis zum Heiligabend selber. Dann stürmt er los, ein verzweifelter Last-Minute-Käufer der guten Absicht, doch leider planlos. „Je näher Heiligabend kommt“, wissen die Verkäuferinnen, „desto mehr kommen die Männer.“
Gerne greifen sie dann zu Geschenken, die schon verpackt sind in Zellophan, „für Last Minute-Käufer sehr angenehm“, weiß das Personal. Weihnachten glaubt der Mann dann gerettet, und die Frau hat eine Zierfigur mehr, es kann auch eine sehr schöne Teekanne sein.
“Das Schlimmste, was es gibt”
Auch der Mann mit den Ski war von der Reaktion überrascht. „Ich hab gedacht“, sagt er rückblickend, „ich mach ihr eine Riesenfreude.“ Die gute Nachricht dabei ist, dass er überhaupt gedacht hat. 10 Prozent aller Frauen gaben in der Umfrage nämlich an, dass ihre Männer sogar so verzweifelt seien, dass sie lieber gar nicht mehr denken und nichts mehr schenken. Aber vielleicht würde sich auch eine Umfrage unter 3 000 Männern lohnen. Er hat nämlich von ihr auch ein Geschenk bekommen: ein „Wer wird Millionär“-Spiel.
Als halbwegs intelligenter Mann begriff er natürlich sofort, was hier der Subtext war: „Wenn man“, sagt er, „einem erwachsenen Mann ein Spiel schenkt, dann heißt das: Hallo, bleib daheim, kümmer Dich mehr um uns.“ Nur: Dummerweise hasst er Spiele-Abende, „das Schlimmste, was es gibt“, nennt er sie. Ist solch ein Geschenk wirklich zielführend? Wohl eher nicht: Weder gelingt, den Beschenkten zu erfreuen, noch erfüllt es den Zweck, den die Schenkerin eigentlich anstrebt. Die einzige Konsequenz, die der Mann zog: Er hat das Spiel so gut versteckt, das es keiner mehr fand. Sogar über Ostern blieb es verschollen.
Es ist eben nicht leicht, das Richtige zu finden. Und nicht nur für Männer nicht, sondern auch für Frauen. Nehmen wir den Christian und seine Schwester: Womit überraschte sie ihn? Mit einem Überbrückungskabel, das er hoffentlich niemals benötigen wird. Bei nächster Gelegenheit hat er sich revanchiert. Jetzt hat sie für ihr Auto ein Notfallset, das sie hoffentlich niemals benötigen wird.
Sind grüne Cordhosen gute Geschenke?
Irritierend für Enkel sind oft Geschenke der Oma. „Weißt Du, was meine Oma mir immer schenkt?“, verrät Enkel Andi: „Religiöse Bücher.“ Gerne über Atheisten, die dann doch glaubten. Auch dies ein Geschenk, das mehr über die Wünsche der Oma verrät als über die ihres Enkels. Obwohl die Oma auch die Enkel-Bedürfnisse nicht ganz aus den Augen verliert: „Ja, gut“, räumt der Andi ein, „meistens ist dann in den Seiten ein Geld drin.“
Die Hitliste der seltsamen Weihnachtsgeschenke ist lang. „So schwarze Hemden“, sagt der Sebastian, „die über der Knopfleiste einen Überschlag haben.“ Das hat er einmal unter dem Christbaum vorgefunden, es schien ihm seltsam. „Ein Hemd, wo die Knopfleiste bedeckt ist“, führt er aus, „kannst du dir vorstellen, wie greislich des is?“ Er selber würde so etwas natürlich niemals verschenken. Er kennt sich selber zum Glück lang genug, um behaupten zu können: „Ich mach mir immer sehr viele Gedanken, wem ich was schenk. Und deshalb schenk ich immer das Richtige her.“ Man kann ihm das glauben, oder auch nicht.
Schlimm erwischt hat es auch einmal einen anderen Andi: Cordhose. Und auch noch in Grün. „Ich habs“, berichtet der Andi, „genau einmal angehabt. Und dann nie wieder.“ Und er flüstert, noch immer geschockt: „A greane Cordhosn: Satan, weiche!“ Wer aber ist nun das Christkind, das schwarze Hemden mit Überschlag und grüne Cordhosen Marke „Satan, weiche!“ verschenkt?
Wir ahnen es dunkel, wenn wir vernehmen, was sich der Sepp zu Weihnachten auf gar keinen Fall wünscht: „Keinen Schlafanzug. Keine Socken. Keine Unterhosen.“ Dies alles, berichtet der Sepp, habe er schon einmal bekommen: „Von meiner Mama.“
Ganz furchtbar: Küchengeräte!
Auch Michaela kann dazu erzählen. Sie ist eine gute Köchin, und um ganz genau zu sein, sogar eine sehr gute. Das ist sehr schlecht. Denn was bekam sie zuletzt an Weihnachten? „Einen Mixer“, sagt sie, „es war schon der zweite.“ Jedes Jahr wieder bekommt sie ein Küchengerät, jedes Jahr wieder braucht sie es nicht, weil sie es schon hat, es ist ein Problem. Sie hat bereits eine Theke, in der sie alle Zweit- und Drittgeräte verstaut, Mixer, Toaster, alles was kommt, und nur die zweite Mikrowelle hat sie irgendwann verkauft.
Seit ihrer Kindheit geht das so, weil sie als Mädchen Küchengeräte gern hatte. Seither bekommt sie welche. Und weil sie, wie fast alle Menschen, unterm Baum ja schlecht sagen kann: „Bitte! Hört auf! Ich finde Küchenarbeits- und sonstige Elektrogeräte nicht einmal halb so toll wie alle glauben!“, wird sie weiter Geräte bekommen, bis eines nicht mehr fernen Tages ihre Wohnung überquillt und sie in ein großes Haus ziehen muss, dessen Miete sie sich gar nicht leisten kann. Und ein Berg an Mietschulden wird wetteifern mit einem Berg aus Toastern, Mixern und Mikrowellen, wer der höhere sei.
Und wer kennt sie lange genug, um ihr seit der Kindheit solche Geräte zu schenken? Genau. „Mütter“, sagt Michaela, „sind diejenigen Menschen, die dich am besten kennen. Irgendwie erwartet man doch, dass sie am besten wissen, was einem gefällt.“ Aber sie schenken grüne Cordhosen, schwarze Hemden mit Überschlag und Toaster, und der Unterschied zu dem, was Männer schenken, ist nur, dass die Geschenke bereits Anfang Oktober erworben wurden.
Eigentlich haben wir alles schon”
“Mütter in diesem Sinne können auch Väter sein. Hanni zum Beispiel, Fan von Aretha Franklin, die die Queen of Soul war und immer noch ist, was bekam sie einst von ihrem Vater? Ein Roger Whittaker-Album. Mit Liedern wie „Albany“, ein Lied, das so schlimm ist, dass Whittaker selber zu Beginn gleich behauptet, es sei gar nicht seines: „Dies ist Gordon Kenseys Lied, sein Lied von Albany, dem stolzen Schloss seines Clans, das er eines Tages für immer verlieren sollte.“
Ja, Weihnachten kann auch traurig sein. Dabei ist „Albany“ nichts gegen das, was Iris einst erlebte, sie war erst zehn. Nichts hatte sie sich so sehr gewünscht wie eine Stereoanlage: einen dieser Ghettoblaster, aus denen der Bass wummert und dröhnt und mit dem man Eltern in den Wahnsinn treiben kann. Dann stand ein Packerl da, es war groß und sie wusste: der Ghettoblaster. Ihr Herz war voll Glück. Was war in dem Packerl? Vier Katzenaugen fürs Radl. Vier Katzen- und zwei traurige Kinderaugen: So fröhlich kann Weihnachten sein.
Ins Nanu Nana, einem der letzten Zufluchtsorte für planlose Schenker, kam einmal ein älteres Ehepaar. „Ganz ehrlich“, sagt die Frau, „wir wollen uns nur kurz aufwärmen, weil eigentlich haben wir alles schon“. Das, was sie schenken wollen, haben sie schon, und was man ihnen schenken wird, im Grunde auch schon. Deshalb sagt der Mann: „Man hat sowieso die Freude nimmer wie früher.“ Und seine Frau sagt: „Wir sind ja alle ein bisserl übersättigt.“
Der Christbaum vom letzten Jahr
Alle Jahre wieder: Beobachtungen rund um den Christbaum und Kauf und Verkauf desselben
Alle Jahre wieder: Beobachtungen rund um den Christbaum und Kauf und Verkauf desselben
Es ist in diesen Tagen, an denen die Welt eh schon in Stress versinkt: Deutschlands Auto-Industrie droht der Untergang, weil uns kein Chinese mehr ernst nimmt, Straubings Tourismus droht der Untergang in der Donau und Olaf Scholz droht der Nation mit noch einer Kanzlerschaft. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, hat man selber noch gar keinen Plan, was man diesmal alles schenken soll; aber ein deutsches E-Auto, eine Donaukreuzfahrt und eine Stimme für Scholz wohl eher nicht.
Es ist in diesen Tagen, da fassen Frauen gern einen Entschluss. Der macht das Leben auch nicht wirklich leichter: „Der Christbaum“, beschließen sie, „wo mir letztes Jahr ghabt ham, war fei der greislichste, wo mir überhaupts je ghabt ham.“ Oh je, sagt da der Mann. Er weiß genau, wer daran schuld ist: Er. Und dass die Frau jetzt erwartet, dass heuer alles anders wird, und vor allem schöner. Christbaumkauf? Gar nicht so einfach.
Zufällig treff ich auf der Straße den früheren Nachbarn, und was erzählt er? Dass seine Frau ihm Folgendes bekannt gegeben hat: „Der Christbaum, den mir letzts Jahr ghabt ham, war fei der greislichste, den mir überhaupt je ghabt ham“; er gibt auch zu, dass das so stimmt. Weil nämlich er es war, der ihn gekauft hat, und zwar ziemlich spät. „Das heißt“, korrigiert er, „eigentlich hab ich ja sehr früh gekauft“, nämlich „in aller Früh“. Nur dass „in aller Früh“ halt erst am Dreiundzwanzigsten gewesen ist. „Da war die Auswahl“, sagt er, „nimmer ganz so groß.“ Deshalb hat seine Frau beschlossen: Heuer wird alles anders. Wem das passiert, der muss bald los. Er schaut und wägt, er prüft und zweifelt, und vor allem macht er ständig den Nadeltest.
Beim Nadeltest muss er lachen
Wenn einer den Nadeltest machen, muss der Hans Wittmann immer lachen. Man nimmt beim Nadeltest einen Zweig in die eine Hand, und mit Daumen und Zeigefinger der anderen bürstet man die Nadeln gegen den Strich und schaut, ob Nadeln fallen. „Da muass i immer lacha“, sagt der Hans Wittmann zu diesem Tun, nimmt statt des Zweigs den ganzen Christbaum und donnert ihn auf die Erde, als ob er einen Pflock einrammen wollte. „Sehn Sie irgendwo a Nadel am Boden?“, fragt er dann, „ i ned.“
Der Hans Wittmann kommt aus Denkzell, „Denkzell, ned Konzell“, sagt er, wenn man das verwechselt, was man auch gut verstehen kann, schließlich ist Denkzell in den 90ern einmal zu Deutschlands schönstem Dorf gekürt worden und Konzell nicht. Die Christbäume, die er verkauft, hat er erst vor Tagen selbst geschlagen, da braucht es doch keinen Nadeltest. Zwei Plätze hat er in Straubing, einen im Süden, den macht ein Freund, und einen in der Ittlinger Straße.
Dort steht er selber, von neun Uhr früh bis 18:00 Uhr, und wenn die Presse anrückt, um zu erfragen, wie's so läuft, dann blickt er freundlich, aber skeptisch. Weil ja die Presse immer so viel Unsinn schreibt, und grad zum Christbaumkauf.
Ein Christbaum ist nicht verhandelbar
„Da wird immer geschrieben, 'beim Christbaum, da muss ma verhandeln'“, sagt der Hans Wittmann, „und dann kommen die Leut, und dann kommt auf dich eine Lawine zu.“ Das wollen wir natürlich nicht, dass eine Lawine auf die Leute zukommt, die jetzt überall den ganzen Tag in der Kälte stehen und Schnee und Regen trotzen, der Josef Pfeilschifter in der Schildhauerstraße zum Beispiel, oder der Michael Kienberger im Netto-Ghetto, wie die Hochwegfeld-Bewohner liebevoll ihr Viertel nennen. Und deshalb vermelden wir korrekt: Der Christbaum, lieber Leser, ist keinesfalls verhandelbar.
Beim Michael Kienberger – übrigens aus Konzell, und nicht aus Denkzell - zum Beispiel steht gerade eine Frau. Gerade noch kann man hören, wie sie voller Gottvertrauen sagt: „Ja, dann wart i halt no bis zum letzten Tag. Dann kriag i'n billiger.“ Da muss auch der Michael Kienberger lachen und bescheidet: „Aber gwiß ned“, mit Betonung auf „ned“. Grad in den letzten Tagen gibt es keine billigen Preise. Da kommen nämlich immer die Schnäppchenjäger, und Schnäppchenjäger kommen nie allein.
Sie kommen mit Argumenten, die beinah unschlagbar sind. Das Top-Argument ist: „De Bäum' verkaufts ihr ja sowieso nimmer alle“, weil eh bald Weihnachten ist. Wenn das nicht zieht – und es zieht nicht - kommt das Reserve-Argument: „Für de drei Tag', wo i den Christbaum aufstell', zahl i doch koane 30 Euro.“ Mei, sagen dann die Verkäufer, dann halt eben ned. Gerade die letzten zwei Tage macht kein Verkäufer billige Preise, sagt der Michael Kienberger, und dafür hat er ein ebenfalls unschlagbares Argument: „Weil sonst keman ja alle auf die letzten zwei Tag'.“
“Mei, irgend oan hoid!”
Zum Glück tun das nicht alle, und darum stehen jetzt schon viele Kunden vor Bäumen. Die einen sind Männer von der Art, die auf die Frage, welchen Christbaum sie denn kaufen, erst nur verständnislos dreinschauen und dann sagen: „Mei, irgend oan hoid.“ Das sind die, die in genau einem Jahr mit einiger Wahrscheinlichkeit dann hören werden: „Der Christbaum, wo mir letzts Jahr ghabt ham, war fei der greislichste, wo mir überhaupts je ghabt ham.“
Die andere Art von Männern hat diesen Satz bereits gehört. Deshalb stehen sie da und prüfen und wägen und testen die Nadeln und können sich nicht entscheiden, weil die Frau nicht dabei ist. Und weil oben die Spitze vielleicht doch ein bisserl schäps ist. Und dann sausen sie lieber weiter zum nächsten Markt. Man will sich daheim ja ungern gleich fragen lassen: „Wo hostn den her? Hosd den ausm Waldsterben gerettet?“
Und natürlich stehen auch Frauen vor Bäumen. Auch sie schauen ratlos. Weil es so viele sind. Und alle haben Zweige und Äste und Nadeln. Und alle haben irgendwo eine Stelle, wo sie eben keinen Zweig haben, aber einen haben sollten, und keinen Ast und zu wenige Nadeln. Dann steht die Frau da und ist ratlos und sagt: „Mei, etz woaß i fei gar ned.“
„Wos moanst etz du?“
Und dann kommt die Erinnerung an den Christbaum vom letzten Jahr, und die Frau sagt: „Der Baum, den wo mir im letzten Jahr ghabt ham: Des war ein Baum wie gemalt!“ Logisch war er das. Weil es ja schließlich sie selber war, die den Baum im letzten Jahr ausgesucht hat. Aber heuer ist es halt ganz, ganz schwer. Und dann stehen auch noch Ehepaare herum. Die suchen gemeinsam aus, und oft ist das ein sehr schönes Miteinander. „Der Mann trifft die Vorauswahl“, sagt Michael Kienberger, „und die Frau entscheidet.“
Dann wühlt er sich durch den Wald, sucht zwei Bäume aus, hält in je einer Hand einen, präsentiert beide der Frau, blickt sie erwartungsvoll an, versucht ihre Gedanken zu lesen und ihr Stirnrunzeln zu deuten, ihre Entscheidung geduldig erwartend. Und dann hört er, wie sie zu ihm sagt: „Wos moanst etz du?“
Dann schaut er erst links, dann schaut er rechts, dann nickt er mit dem Kinn hin auf einen Baum, und dann sagt der Mann: „I moan, der do waar da Scheena.“ Und sie sagt dann: „Moanst?“ Das sagt sie so dermaßen zweifelnd, dass der Mann meint, dass er doch lieber ganz anders meinen muss: „Oder is doch da Anda da Scheena?“ Bis dann irgendwann der Verkäufer mit einem „des moanad i aa“ die Frage entscheidet, aber nur scheinbar. Weil ab dem Moment ist die Frau sicher: Der andere ist es. Da muss man einfach sagen: so schöne Wortwechsel hört man im Baumarkt doch nie. Obwohl, eigentlich doch.
Entscheidend ist doch: Gesägt oder getopft?
„Die Frage ist natürlich: gesägt oder getopft?“, fragt dort die Verkäuferin zurück. Das ist eine sehr schöne Gegenfrage, eine, die einen für eine Sekunde in tiefe Verwirrung stürzt. Denn über „gesägt oder getopft“ hat man wirklich noch nie nachgedacht. Es ist nämlich Mitte November, und nachgedacht hat man da eigentlich nur über die Frage, ob tatsächlich schon je irgendwer bereits Mitte November einen Christbaum gekauft hat.
Im Baumarkt und Gartencenter geht es nämlich viel früher los als an Waldbauernständen. Da stehen die Bäume schon seit „KW 46“ herum, wie Mitte November im Branchendeutsch heißt: also zu einer Zeit, in der noch nicht einmal der Christkindlmarkt richtig aufgebaut ist, und der war heuer richtig früh dran. Aber ist ja kein Wunder, Baumarktbäume haben eine sehr weite Anreise hinter sich, sie kommen 1 000 Kilometer aus Dänemark. Da muss man bzw. baum schon etwas früher los, wegen der vielen Staus auf der Autobahn, und die Bahn ist heutzutage ja auch unkalkulierbar. Und außerdem ist es im Großmarkt mit Bäumen genau wie mit dem Osterhasen, der reist ja auch schon kurz nach Dreikönig an.
Der frühere Nachbar zieht heuer etwas früher los als im letzten Jahr. „Ich geh direkt in den Wald“, sagt er, „zu einem Bauern, weil wir den kennen, und schlag den Baum selber.“ Dazu viel Glück: Unser Vater hat das auch einmal versucht, hat die Mutter uns Kindern einmal erzählt: „Nach kürzester Zeit“, hat sie erzählt und herzlich gelacht, „war er wieder da, blutend und ohne Baum. 'Nein', hat er gesagt, 'des kon i ned'.“ Ja, unser Vater konnte sehr viel, doch Bäume fällen halt eben nicht. Und den Christbaum hat immer unsere Mutter geholt, an einem Waldbauernstand. Unser Christbaum war immer sehr schön, und grad der vom letzten Jahr.
Weihnachtsmann, Santa und der echte Nikolaus
Warum es manchmal ganz schön schwer ist, sie auseinander zu halten. Und dann auch noch das Christkind!
Einmal ist meine Tochter heim von der Schule und hat geschimpft wie ein Rohrspatz. Ich muss dazu sagen, sie war in dem Alter, in dem man beginnt, die Welt zu hinterfragen und selbst bislang unumstößliche Gewissheiten auf den Prüfstand zu stellen, denn sie war sieben und in der Schule war der Nikolaus zu Besuch. „Ich glaub‘ nicht, dass das der echte Nikolaus war“, hat sie gesagt und hat eine ganze Kette an Indizien aufgezählt.
Der Knecht Rupprecht hat nämlich einem gewissen Herrn D. sehr ähnlich gesehen. Und der Nikolaus selbst einem anderen Mann, den sie an der Schule oft sieht, dessen Namen sie aber nicht weiß. Und: Das Goldene Buch war ihrer Ansicht nach gar nicht aus echtem Gold. „Das war aus Plastikgold“, hat sie gesagt und mich hochironisch gefragt: „Glaubst Du vielleicht, dass der Nikolaus ein Buch aus Plastikgold hat?“ Und dann erst, was er daraus vorgelesen hat: Eine Geschichte, wie Maria einen Faden spinnt. „Voll langweilig war das“, hat sie gesagt. Aber der Hammer war: In einer anderen Klasse war der Nikolaus auch, und zwar der echte! „Ich glaub“, hat sie geschimpft, „wir werden verarscht.“
Ich weiß nicht, woher sie solche Ausdrücke hat, von mir bestimmt nicht, wobei, vielleicht doch. Aber ich kann gut verstehen, dass sie so denkt. Der echte Nikolaus nämlich hatte ein Buch aus echtem Gold, das hat ihr ein Bub aus jener Klasse gesagt, und es gibt für sie keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Vor allem deswegen nicht, weil dieser echte Nikolaus keine langweilige Fadengeschichte vorgelesen hat, sondern, was die Kinder alles angestellt haben. „Sowas“, sagt sie, „kann ja nur der echte Nikolaus wissen!“, ihre Logik ist brillant. Und genau darauf, was alle anderen angestellt haben, darauf wäre sie scharf gewesen.
Er selber sagt: „Das ist schön“
Ich glaube, dass Nikolaus-Sein ein harter Beruf ist, vor allem an Schulen. Man wird oft angezweifelt, die eigene Existenz wird in Frage gestellt, das ist doch nicht schön. Man steht vor den Kleinen, lobt und tadelt ein bisschen, und alles, was hängen bleibt, ist eine Diskussion darüber, ob das echt der Nikolaus war, oder vielleicht doch nur der Herr Bachmann, der sich verkleidet hat, und die ganz Schlauen unter den Kleinen entscheiden dann, dass das auf gar keinen Fall der Herr Bachmann war, weil der ja noch nicht so viele Falten hat.
Es entgeht ihnen ja gar nichts. Die Schuhe haben sie schon einmal bei dem Herrn Dings gesehen, die Stimme haben sie auch schon einmal gehört, oder die Augen sind auch genau wie bei dem Herrn Dings. Mit einem Wort: Der Nikolaus hat es schwer. Gut, Politiker auch und Versicherungsvertreter und die ganzen Medien, nicht umsonst sagt eine aktuelle Umfrage vom Oktober, dass diese Berufe in der Vertrauensskala der Deutschen ganz, ganz weit unten stehen. Aber der Nikolaus ist da gar nicht mehr aufgeführt, das lässt doch tief blicken. Doch wenn man den Nikolaus selber fragt, ob Nikolaus-Sein nicht echt ziemlich hart ist, gibt es eine Überraschung: Der Nikolaus lacht und sagt: „Gar nicht, das ist sogar schön.“
Ich habe das Glück, dass ich den echten Nikolaus kenne, und zwar persönlich. Ich trinke fast jeden Morgen einen Kaffee mit ihm, in einem Lokal. Dort erzählt er mir, was schön ist am Nikolaus-Sein: Die kleineren Kinder, die erst drei oder vier oder fünf Jahre alt sind und die Welt noch so sehen, wie sie wirklich ist oder zumindest sein sollte, nämlich wunderbar, die staunen ihn ehrfürchtig an. Bei den ganz Kleinen kommen niemals Gedanken an Plastikgold oder dass er irgendwem ähnlich sieht. Aber insgesamt wird er trotzdem oft verwechselt.
Seine Vergangenheit: Was er gestehen muss
„Ich muss gestehen“, sagt mir der echte Nikolaus und nimmt einen Schluck Kaffee, „ich hab als Santa angefangen.“ Santa ist ein anderes, ein moderneres Wort für den Weihnachtsmann, und der Weihnachtsmann ist der, der manchmal im Werbefernsehen an der Fleischtheke bei Edeka steht und „zwei Kilo Roastbeef“ und „15, nein 20 Rinderrouladen“ kauft, Sie haben den Spot bestimmt schon gesehen. „Mit einem von Woolworth gekauften Santa-Kostüm“, sagt der Nikolaus, „hab ich damals angefangen, weil ich eigentlich mehr oder weniger Stammtischveranstaltungen begleitet hab.“
Sogar „ho ho ho“ hat er gerufen, heute ist ihm das ein bisschen peinlich; es war die Zeit, als der Weihnachtstruck von Coca Cola erstmals über die Bildschirme fuhr. Aber dann sind Anfragen von befreundeten Familien gekommen. Da ist er der Nikolaus geworden, und wer der Kerl ist, der momentan ständig zwei Kilo Roastbeef und 15, nein 20 Rinderrouladen bei Edeka kauft, ist deshalb unklar. Er, der echte Nikolaus, ist es jedenfalls nicht.
Man muss schon sehr aufpassen, dass der echte Nikolaus nicht verwechselt wird. In jedem Einkaufscenter steht jetzt ein Santa, überall ruft einer „ho ho ho!“ und kein Mensch weiß, warum. Oder man fährt mit dem ICE 818 ab Frankfurt Hauptbahnhof wie am vergangenen Samstag, und plötzlich sind ein paar Dutzend Santas da, in roten Flanellmänteln und Weihnachtsmannmützen von Woolworth, singen „White Christmas“, und die Bahn behauptet, dass das alles Nikoläuse sind.
Das ist aber völliger Blödsinn, weil es nur einen Nikolaus gibt, und der trägt eine Bischofshaube. Und keine Weihnachtsmannmütze von Woolworth.
Der echte Nikolaus aber hat sich Bischofshaube und -gewand machen lassen; es erschien ihm ungut, dass er wie der Santa im Weihnachtstruck von Coca Cola aussah; außerdem muss der Cola-Santa ja durch den Kamin, und der von der Fleischtheke auch. Er hingegen klopft an die Terrassentür, nachdem er die Kinder ein bisschen beobachtet hat. Dann holt er sein Buch heraus und weiß sehr, sehr viel über sie, sogar, dass sie ihr Zimmer nicht aufräumen, ja, sogar das. Da staunen sie dann, geloben Besserung und manche halten sich dran.
Wenn sie dann älter und richtig cool sind, treffen sie den Nikolaus wieder, zum Beispiel heute am Christkindlmarkt, da ist er jeden Samstag und Sonntag Spätnachmittag. Es ist aber möglicherweise ein anderer Nikolaus als der vom Morgenkaffee, die Stimme jedenfalls ist anders. Kann es sein, dass es doch mehrere Nikoläuse gibt? Und jeder ist echt? Es sind schwierige Fragen rund um den Nikolaus, es ist ein Geheimnis, und die großen Kids stehen da, und wenn der Nikolaus vorüberschreitet, rufen sie: „Hey, Servus, Nikolaus!“ und wollen High Five mit ihm machen. Sie sind eben sehr cool geworden.
Manche stupsen ihn auch, so von hinten. Oder sie reden ihn von der Seite her an, mit einem dummen Spruch, ob er auch Kondome dabei hat, in seinem Sack, die könnten sie brauchen, so in dieser Art. Dann gibt es Gelächter, und der, der den Spruch gebracht hat, ist in diesem Moment echt eine coole Sau, wie man sagt. Aber dann zeigt ihnen der Nikolaus, was cool sein wirklich ist. Er schaut ihnen direkt in die Augen, grüßt sie sehr freundlich, gibt ihnen die Hand und drückt sie kräftig. „Dann“, sagt der Nikolaus, „kapieren sie, ‚aha, ich muss mich bremsen‘.“
„Schau ma‘, der Weihnachtsmann!“
So macht das der echte Nikolaus, und irgendwie, auf seltsame Weise, sind dann sogar die coolen Kids ein bisschen ehrfürchtig, für einen Augenblick wenigstens. Aber auch hier, am Christkindlmarkt, läuft er immer Gefahr, dass er verwechselt wird. „Ja, immer“, sagt der Nikolaus, „ganz oft passiert das“, vor allem bei Leuten die nicht aus Bayern sind. „‚Schau ma‘, der Weihnachtsmann!‘ sagen die“, sagt der Nikolaus, „in Hochdeutsch oder Sächsisch.“ Da klärt er aber immer gleich auf, dass er nicht der Weihnachtsmann ist, „ich bin ja nicht aus der Cola-Werbung entsprungen“, erklärt er, „weil ein Bischof, das ist doch ganz was anderes.“
Es hat sich eben sehr viel geändert seit dem 4. Jahrhundert, als er Bischof in Myra war und viele Wunder tat. Aber natürlich geht er auch mit den Trends der Zeit. Heute kommen die Leute und wollen ein Selfie mit dem Nikolaus machen, wie mit dem Pep, Kloppo und Angela Merkel, falls sie die alle erwischen, und irgendwann erwischen sie alle. Und wie der Pep, Kloppo und Angie lässt auch der Nikolaus ein Selfie machen mit sich. Warum auch nicht? Ist ja keine Hexerei, so ein Selfie, sondern eine Erinnerung an Nikolaus, und außerdem noch der leichteste Teil des Nikolaus-Seins.
Es ist nämlich so, dass sich noch etwas geändert hat für den Nikolaus. „Unglaublich“, sagt er, „was die Leut‘ an Nikolaus alles herschenken.“ Bei genauer Betrachtung könnte man diesen Satz so interpretieren, dass auch dieser Nikolaus tatsächlich gar nicht der echte Nikolaus ist, weil er ja ganz offensichtlich sagt, dass es „die Leut‘“ sind, die schenken, wo es doch, wie jedes Kind weiß, der Nikolaus ist, der herschenkt.
Was dann Merkwürdiges geschah
Aber das war wohl nur eine unglückliche Formulierung vom Nikolaus; denn es ist letztlich tatsächlich er, der die Geschenke bringt. „Ich hab einen riesengroßen Kartoffelsack“, sagt der Nikolaus, und mit „riesengroßen Kartoffelsack“ meint er nicht die diese Kartoffelnetze mit 2,5 oder 5 kg aus dem Supermarkt, da meint er schon wirklich einen riesengroßen Kartoffelsack. „Und der“, erzählt er, „ist manchmal wirklich nur für ein Kind gefüllt.“
Nicht nur mit Apfel, Nuss und Mandelkern, sondern mit einem Wust an Geschenken, darunter kann auch ein riesiger Tretbagger sein, und drei Wochen später ist Weihnachten. Dann kommt das Christkind, beziehungsweise der Weihnachtsmann, beziehungsweise der Santa, und schleppt noch mehr an. Es ist sehr verwirrend: Früher war‘s echt nur der Nikolaus, der Geschenke gebracht hat. Aber dann hat Martin Luther das Christkind erfunden, weil Luther die katholische Heiligenverehrung nicht besonders gut fand. Und dann ist etwas wirklich Merkwürdiges geschehen. Plötzlich war es so, dass der katholische Süden das Christkind hatte und der protestantische Norden den Weihnachtsmann, und seine Mütze hat Woolworth.
Heute heißt der Weihnachtsmann immer öfter Santa, sogar im Süden, nur an der Edeka-Fleischtheke heißt er noch Weihnachtsmann und bei der Bahn Nikolaus, ist aber Weihnachtsmann. Aber der Nikolaustag ist wieder großer Geschenktag, fast so groß wie Weihnachten und zum Christkind, das mit dem Nikolaus über den Christkindlmarkt geht, sagen die Leute, „schau mal, der Weihnachtsmann mit seinem Engerl.“ Anderswo gibt‘s keine Christkindlmärkte mehr, nur Winter- und Knuspermärkte, weil man immer meint, dass man Neues braucht, und wenn’s ein Schmarrn ist. Zu meiner Tochter hab ich gesagt, dass ich auch oft nicht genau weiß, was echt und was falsch ist; dass es aber ganz bestimmt Sachen gibt, die kann nur der echte Nikolaus wissen.
Jäger des verlorenen Leberkas
Es waren die besten Leberkassemmeln der Welt. Es gibt sie nicht mehr. Es bleibt nur die Sehnsucht
Kürzlich ist ein E-Mail in der Redaktion eingetrudelt, was, wie man sich leicht vorstellen kann, an sich nicht weiter bemerkenswert ist. In einer tüchtigen Redaktion trudeln ja täglich tausende E-Mails ein, oft sogar mehrmals am Tag, es ist nichts Besonderes. Dieses E-Mail aber war ein besonderes. Seit Jahren, so schrieb die Verfasserin, beschäftige sie ein Schicksal: das Schicksal des legendären Wolf-Leberkas. Ja, sie schrieb „legendär“. Und das mit Recht.
„Unserem Empfinden nach“ schrieb die Verfasserin, „handelt es sich hierbei um ein Thema von außerordentlicher Straubinger Wichtigkeit!“, das Ausrufezeichen unterstrich dies. „Vielleicht“, so schrieb sie weiter, „erscheint Ihnen als alt(Verzeihung!)eingesessenem Straubinger ja schon in diesem Moment eine Scheibe Wolf-Leberkas in seiner urtypischen Farbe vor dem geistigen Auge.“ Was soll man sagen? So war es.
Eine Szene stieg vor dem inneren Auge auf, aus dem Turmair-Gymnasium der 70er Jahre. Dort waren Pädagogen am Werk, die teils von drakonischer Strenge waren, teils gütig bis an den Rand der Hilflosigkeit und darüber hinaus. Bei einem solchen stand einst mitten im Unterricht ein pubertierender Schüler auf. Wortlos ging er zur Tür. „Wohin?“ fragte gütig der hilflose Lehrer. „I hol mir zwoa Leberkassemmeln“, informierte der Schüler, entfernte sich keck und kehrte kauend zurück. Es waren, natürlich, Wolf-Leberkassemmeln. Die legendären. Die besten der Welt. Ein Meisterwerk heimischer Metzgerkunst. Es gibt sie nicht mehr. Doch was geschah mit dem Rezept?
„Für sachdienliche Hinweise wären wir dankbar“
„Gerüchten zufolge wurde das Originalrezept seinerzeit an die Metzgerei Wenisch verkauft“, schrieb die Frau weiter. „Persönliche Nachforschungen haben jedoch ergeben, dass diese Spezialität dort leider nicht (nicht mehr???) angeboten wird.“ Das E-Mail endete: „Wie köstlich und trostreich wäre doch jetzt eine dicke Scheibe Original-Wolf-Leberkas (mit Händlmaier-Senf und einer Semmel) in unserer Post-Volksfest-Depression! Für sachdienliche Hinweise wären wir Ihnen sehr dankbar. Vielleicht sind wir ja kein Einzelfall und Sie könnten auch noch weiteren Leberkas-Gourmets einen großen Dienst erweisen.“
E-Mails wie diese sind gefundene Fressen für Zeitungsreporter. Die Verbindung zwischen Zeitung und Leberkas war ja seit je her eine enge, man denke nur an „Ruaf mi ned a“, Georg Danzers traurige Liebesballade, die sich in der anrührenden Zeile „Sog, host scho vergessn, wiara Leberkas schmeckt ausm Zeitungspapier?“ zu einem emotionalen Höhepunkt aufschwingt; traurig, dass die EU-Hygienepolitik solche Sternstunden der Poesie inzwischen unmöglich macht, denkt der Reporter, und ihn tröstet nur, dass er dafür aber über Leberkas-Krisen der hiesigen CSU reportieren darf. Dann setzt er seinen inneren Indiana Jones-Hut aufs schütter werdende Haupt, und dann los: Auf der Suche nach dem verlorenen Leberkas.
Erste Anlaufstation: Anton Wenisch. Es ist ein Treffer. „Absolut richtig“, sagt nämlich Anton Wenisch, „ich hab die Originalrezeptur von 1880 abschreiben dürfen“, und er erzählt, wie es dazu kam. Irgendwann im Jahr 1997, als die Wolfs ihr Unternehmen an ein zufällig namensgleiches Unternehmen aus Schwandorf verkauften, lud ihn Hermann Wolf, der Enkel Kajetans, des Firmengründers, in die Metzgerei. Um fünf Uhr früh traf Wenisch dort ein.
Die riesige Brotteig-Knetemaschine
Was er dort sah, ließ ihn staunen. Eine riesige Brotteig-Knetmaschine stand da; eine, wie man sie früher in Bäckereien hatte: das Herzstück des legendären Produkts. Dort hinein kamen gekuttertes Schweinefleisch und gekutterter Speck. Brät aus Jungbullenfleisch wurde zugegeben. Das Originalrezept verlangt Brät aus noch warmem Fleisch, direkt nach der Schlachtung, es bindet den Geschmack. Nicht auf einmal, nein, in mehreren Schritten wurde das Brät zugegeben. Langsam, sehr langsam, vermengte die Teig-Maschine dann alles.
„'Was? So viel Aufwand?' hat der Wenisch gesagt“, erinnert Fritz Aumüller sich, er war der letzte Wolf-Produktionsleiter. Fast eine Stunde dauerte es, fünf mal so lang wie anderswo, in die Abläufe heutiger Metzger passt das nicht mehr. Die Zeit gemessen, sagt Anton Wenisch, „wurde mit einer ganz speziellen Uhr.“ Sein Vater, erzählt er, war ebenfalls Metzger und auf seinen eigenen Leberkas stolz. „Erst mit 75“, sagt Wenisch, „hat er zum ersten Mal überhaupt den Wolf-Leberkas probiert. 'Saggra', hat er gesagt, 'oh, der is wirklich so gut.“
Drei Jahre lang hat Wenisch dann den Wolf-Leberkas gemacht. Auch den Schwandorfer Wolf belieferte er. Doch der setzte dann auf seinen eigenen Leberkas. „Damit ist der Absatz weggebrochen“, sagt Wenisch, „und ich hab aufgehört.“ Das Rezept hat er noch, aber er hält es geheim. Doch einen Tipp gibt er mit auf die Jagd: „Der Schmidt Richard“, sagt Wenisch, „weiß viel über den Leberkas. Der hat ihn in jungen Jahren gemacht.“ Also auf zum Schmidt, dem früheren Löwen-Wirt und noch früheren Metzger bei Kajetan Wolf, und zuvor in die Leberkas-Poesie.
Der Wolf-Leberkas ist der berühmteste Leberkas der ganzen Welt. Zahlreiche Metzger versuchten, ihn nachzumachen so wie Konditoren versuchen, die Bernauer-Torte zu machen. Das Original erreicht keiner.
„Der Wolf-Leberkas“, sagt Hermann Hiendl aus Obermotzing, „war irgendwie a bsondere Sach“, auch er hat es versucht. Sein Produkt war wohl gut, aber nicht das Original. Das Original ist der einzige Leberkas, den eine Ode besingt. Im Internet findet man sie überall, wo es um Leberkas geht, ob auf einer Info-Seite des ORF Steiermark, norddeutschen Schmankerl-Tipps oder der Seite der Bayern Tourismus Marketing. Marzell Oberneder, Straubings Dichterfürst des 20. Jahrhunderts, hat die Ode verfasst. Einst saß er mit Hermann Wolf sen. zusammen, dem Sohn des Kajetan, und Oberneder sagte spontan: „Herr Wolf, ich mach Ihnen a Ode auf Ihren Leberkas!“ Und er ging heim und er schrieb:
„Zu den meistbegehrten Sachen g´hört seit je das Brotzeitmachen / Will man es so richtig feiern, fährt man halt nach Niederbayern, / wo man, altem Brauch gemäß, zu gern isst den Leberkäs, / den vom Wolf, dem Kajetan, der mit Recht steht vorne dran.“ Es folgten elf weitere Zeilen, die noch heute jeder zitiert, der über Leberkas schreibt, bei Taxi-muenchen-online.de finden wir sogar eine englische Version, die jedoch erbärmlich ist. Dennoch darf man behaupten: Wenn Marzell Oberneder heute weltweit ein Begriff ist, verdankt er dies diesem Leberkas, und umgekehrt gilt das genauso.
„Es war ein Wecker, ein ganz normaler“
„Ja“, sagt Richard Schmidt, „ich hab in den 70er Jahren den Leberkas gemischt“: wieder ein Treffer. „Der Wolf Senior“, sagt Schmidt, „hat immer speziell drauf geachtet, dass er gemacht wird, wie er sich das vorstellt.“ Exakt waren die Zeiten der Teigmaschine einzuhalten; hoch musste die Fleischqualität sein; niemals Reststücke; immer 1a. „Das Mischverhältnis“, sagt Schmidt, „war das Ausschlaggebende“, und nur zu der speziellen Uhr erklärt er: „Des is a Wecker gewesen, a ganz normaler Wecker.“
Einmal pro Woche wurde das Brät gemacht; Bullenschlachttag war Donnerstag, das Schweinefleisch war jeden Tag neu: zehn Minuten das grobe, zehn Minuten das feine, dann drei Mal das Brät, jeweils zehn Minuten. Statt Pökelsalz nahm man Kochsalz, das machte das typische Grau des Wolf-Leberkas, das war kein Geheimnis. Aber dann die Gewürze: „Das war ein Geheimnis“, sagt Schmidt, „das hat eine andere Abteilung gemacht. Das war ja streng geheim.“
Mazisblüte, so vermutet er, Majoran und Muskat, dazu Koreander und auch Zitrone, „und dann noch a bissl a Maggi“, es klingt hochinteressant, und gebacken wurde bei niedrigen 130 Grad. Damit wissen wir viel, aber nicht genug. Also auf zu Hermann Wolf, dem Enkel des Kajetan. Er muss alles wissen, vielleicht auch sogar, wo das Originalrezept von 1880 heute ist. Vielleicht würde sogar ein Foto gelingen, eines der Originalrezeptur von 1880, und man würde zurückkehren in die Redaktion als der Indiana Jones der Leberkas-Forschung.
„Die Fleischrezeptur ist nicht das Geheimnis“
Aus Gäu und Wald waren die Menschen früher zum Wolf geeilt. Den Einkauf in der Stadt haben sie sich versüßt mit einer Leberkas-Brotzeit und Händlmaier-Senf, „Er war berühmt im Wald“, hat uns Angelika Stelzer erzählt, die früher bei Kajetan Wolf war und jetzt bei Wolf Schwandorf ist: „Ich bin ja selber aus dem Wald, und der Leberkas hat einfach zugehört zu einem Straubing-Besuch.“ Nur hier wurde er verkauft, obwohl Wolf auch Filialen in Landshut, Deggendorf, Plattling und München hatte. Er war eine Straubinger Spezialität.
„Heut noch“, erzählt Angelika Stelzer, „fragen Leute danach: 'Mei, habts ihr den guadn Leberkas no?', vor allem zur Volksfestzeit.“ Aber insgesamt war der Absatz doch rückläufig. Wo sie früher sechs Reindl verkauft haben, waren es am Schluss nur noch zwei oder drei. Irgendwann wurde der Auftrag bei Wenisch storniert.
Und dann sitzen wir bei Hermann Wolf. „Die Fleischrezeptur“, sagt Hermann Wolf, „kann ja kein Geheimnis sein. Zwei Teile durchwachsenes Schweinefleich, ein Teil Rind, Salz, Eis.“ Und die Gewürze? „Mein Vater und Großvater haben das sehr geheim gehalten“, sagt Hermann Wolf. er selbst kann es auch nicht mehr preisgeben: „Wirklich, ich habs vergessen.“ Und das Originalrezept, das von 1880, ist inzwischen verschwunden. Es ist ein Jammer.
„...dann einen schönen Leberkas machen“
Was aber, wenn es wieder auftauchte? Oder sich Wenisch entschlösse, es aufleben zu lassen? Wäre diese Legende von Leberkas heute noch ein Renner? „Mei“, sagt Hermann Wolf, „da können Sie hundert Leut fragen, da werden Sie hundert Meinungen kriegen.“ Grober Leberkas? Wird heute selten verlangt. Er gilt als fett, weil das Fett nicht so fein zerkleinert ist. Als kleiner Imbiss ist Leberkas nicht mehr konkurrenzlos; heute provozieren pubertierende Schüler gütige Lehrer eher mit Döner. Und die Produktion dieser Leberkas-Legende war so zeit- und energieintensiv, dass er schon damals teurer als jeder andere war.
Bis zu 150 Kilo täglich hat Wolf in der Hochzeit des Leberkas produziert, und nur in Straubing. Ein Versuch, ihn in München zu etablieren, ist gescheitert. „Er war zu fremd“, sagt Hermann Wolf, es war eine Straubinger Spezialität. Aber wenn man Angelika Stelzer fragt, ob sie glaubt, dass dieser Leberkas heute noch gehen würde, sagt sie: „Ja. Hundertprozentig.“ Nicht mehr die Menge wie früher, aber doch immerhin. „Ich bin mir sicher“, sagt auch Fritz Aumüller, „ich weiß bloß ned, was er kosten tät.“
Und Richard Schmidt sagt, dass er sich das schon oft gedacht hat: „Ein kleines Laderl, in der Stadt oben, des nur a paar Stund' offen hätt'. Und dann einen schönen Leberkas machen“, und dann lacht er ein bisserl. „I kannt's scho no“, sagt er. Schön wär das schon.