Der Christbaum vom letzten Jahr

Alle Jahre wieder: Beobachtungen rund um den Christbaum und Kauf und Verkauf desselben

Es ist in diesen Tagen, an denen die Welt eh schon in Stress versinkt: Deutsch­lands Auto-Industrie droht der Untergang, weil uns kein Chinese mehr ernst nimmt, Straubings Tourismus droht der Untergang in der Donau und Olaf Scholz droht der Nation mit noch einer Kanzlerschaft. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, hat man selber noch gar keinen Plan, was man diesmal alles schenken soll; aber ein deutsches E-Auto, eine Donaukreuzfahrt und eine Stimme für Scholz wohl eher nicht.  

Es ist in diesen Tagen, da fassen Frauen gern einen Entschluss. Der macht das Leben auch nicht wirklich leichter: „Der Christbaum“, beschließen sie, „wo mir letztes Jahr ghabt ham, war fei der greislichste, wo mir  überhaupts je ghabt ham.“ Oh je, sagt da der Mann. Er weiß genau, wer daran schuld ist: Er. Und dass die Frau jetzt erwartet, dass heuer alles anders wird, und vor allem schöner. Christbaumkauf? Gar nicht so einfach.

Zufällig treff ich auf der Straße den früheren Nachbarn, und was erzählt er? Dass seine Frau ihm Folgendes bekannt gegeben hat: „Der Christbaum, den mir letzts Jahr ghabt ham, war fei der greis­lichste, den mir überhaupt je ghabt ham“; er gibt auch zu, dass das so stimmt. Weil nämlich er es war, der ihn gekauft hat, und zwar ziemlich spät. „Das heißt“, korrigiert er, „eigentlich hab ich ja sehr früh gekauft“, nämlich „in aller Früh“. Nur dass „in aller Früh“ halt erst am Dreiundzwanzigsten gewesen ist. „Da war die Auswahl“, sagt er, „nimmer ganz so groß.“ Deshalb hat seine Frau beschlossen: Heuer wird alles anders. Wem das passiert, der muss bald los. Er schaut und wägt, er prüft und zweifelt, und vor allem macht er ständig den Nadeltest.

Beim Nadeltest muss er lachen

Wenn einer den Nadeltest machen, muss der Hans Wittmann immer lachen. Man nimmt beim Nadeltest einen Zweig in die eine Hand, und mit Daumen und Zeigefinger der anderen bürstet man die Nadeln gegen den Strich und schaut, ob Nadeln fallen. „Da muass i immer lacha“, sagt der Hans Wittmann zu diesem Tun, nimmt statt des Zweigs den ganzen Christbaum und donnert ihn auf die Erde, als ob er einen Pflock einrammen wollte. „Sehn Sie irgendwo a Nadel am Boden?“, fragt er dann, „ i ned.“

Der Hans Wittmann kommt aus Denkzell, „Denkzell, ned Konzell“, sagt er, wenn man das verwechselt, was man auch gut verstehen kann, schließlich ist Denkzell in den 90ern einmal zu Deutschlands schönstem Dorf gekürt worden und Konzell nicht. Die Christbäume, die er verkauft, hat er erst vor Tagen selbst geschlagen, da braucht es doch keinen Nadeltest. Zwei Plätze hat er in Straubing, einen im Süden, den macht ein Freund, und einen in der Ittlinger Straße.

Dort steht er selber, von neun Uhr früh bis 18:00 Uhr, und wenn die Presse anrückt, um zu erfragen, wie's so läuft, dann blickt er freundlich, aber skeptisch. Weil ja die Presse immer so viel Unsinn schreibt, und grad zum Christbaumkauf.

Ein Christbaum ist nicht verhandelbar

„Da wird immer geschrieben, 'beim Christbaum, da muss ma verhandeln'“, sagt der Hans Wittmann, „und dann kommen die Leut, und dann kommt auf dich eine Lawine zu.“ Das wollen wir natürlich nicht, dass eine Lawine auf die Leute zukommt, die jetzt überall den ganzen Tag in der Kälte stehen und Schnee und Regen trotzen, der Josef Pfeilschifter in der Schildhauerstraße zum Beispiel, oder der Michael Kienberger im Netto-Ghetto, wie die Hochwegfeld-Bewohner liebevoll ihr Viertel nennen. Und deshalb vermelden wir korrekt: Der Christbaum, lieber Leser, ist keinesfalls verhandelbar.

Beim Michael Kienberger – übrigens aus Konzell, und nicht aus Denkzell - zum Beispiel steht gerade eine Frau. Gerade noch kann man hören, wie sie voller Gottvertrauen sagt: „Ja, dann wart i halt no bis zum letzten Tag. Dann kriag i'n billiger.“ Da muss auch der Michael Kienberger lachen und bescheidet: „Aber gwiß ned“, mit Betonung auf „ned“. Grad in den letzten Tagen gibt es keine billigen Preise. Da kommen nämlich immer die Schnäppchenjäger, und Schnäppchenjäger kommen nie allein.

Sie kommen mit Argumenten, die beinah unschlagbar sind. Das Top-Argument ist: „De Bäum' verkaufts ihr ja sowieso nimmer alle“, weil eh bald Weihnachten ist. Wenn das nicht zieht – und es zieht nicht -  kommt das Reserve-Argument: „Für de drei Tag', wo i den Christbaum aufstell', zahl i doch koane 30 Euro.“ Mei, sagen dann die Verkäufer, dann halt eben ned. Gerade die letzten zwei Tage macht kein Verkäufer billige Preise, sagt der Michael Kienberger, und dafür hat er ein ebenfalls unschlagbares Argument: „Weil sonst keman ja alle auf die letzten zwei Tag'.“

“Mei, irgend oan hoid!”

Zum Glück tun das nicht alle, und darum stehen jetzt schon viele Kunden vor Bäumen. Die einen sind Männer von der Art, die auf die Frage, welchen Christbaum sie denn kaufen, erst nur verständnislos dreinschauen und dann sagen: „Mei, irgend oan hoid.“ Das sind die, die in genau einem Jahr mit einiger Wahrscheinlichkeit dann hören werden: „Der Christbaum, wo mir letzts Jahr ghabt ham, war fei der greislichste, wo mir überhaupts je ghabt ham.“

Die andere Art von Männern hat diesen Satz bereits gehört. Deshalb stehen sie da und prüfen und wägen und testen die Nadeln und können sich nicht entscheiden, weil die Frau nicht dabei ist. Und weil oben die Spitze vielleicht doch ein bisserl schäps ist. Und dann sausen sie lieber weiter zum nächsten Markt. Man will sich daheim ja ungern gleich fragen lassen: „Wo hostn den her? Hosd den ausm Waldsterben gerettet?“

Und natürlich stehen auch Frauen vor Bäumen. Auch sie schauen ratlos. Weil es so viele sind. Und alle haben Zweige und Äste und Nadeln. Und alle haben irgendwo eine Stelle, wo sie eben keinen Zweig haben, aber einen haben sollten, und keinen Ast und zu wenige Nadeln. Dann steht die Frau da und ist ratlos und sagt: „Mei, etz woaß i fei gar ned.“

„Wos moanst etz du?“

Und dann kommt die Erinnerung an den Christbaum vom letzten Jahr, und die Frau sagt: „Der Baum, den wo mir im letzten Jahr ghabt ham: Des war ein Baum wie gemalt!“ Logisch war er das. Weil es ja schließlich sie selber war, die den Baum im letzten Jahr ausgesucht hat. Aber heuer ist es halt ganz, ganz schwer. Und dann stehen auch noch Ehepaare herum. Die suchen gemeinsam aus, und oft ist das ein sehr schönes Miteinander. „Der Mann trifft die Vorauswahl“, sagt Michael Kienberger, „und die Frau entscheidet.“

Dann wühlt er sich durch den Wald, sucht zwei Bäume aus, hält in je einer Hand einen, präsentiert beide der Frau, blickt sie erwartungsvoll an, versucht ihre Gedanken zu lesen und ihr Stirnrunzeln zu deuten, ihre Entscheidung geduldig erwartend. Und dann hört er, wie sie zu ihm sagt: „Wos moanst etz du?“

Dann schaut er erst links, dann schaut er rechts, dann nickt er mit dem Kinn hin auf einen Baum, und dann sagt der Mann: „I moan, der do waar da Scheena.“ Und sie sagt dann: „Moanst?“ Das sagt sie so dermaßen zweifelnd, dass der Mann meint, dass er doch lieber ganz anders meinen muss: „Oder is doch da Anda da Scheena?“ Bis dann irgendwann der Verkäufer mit einem „des moanad i aa“ die Frage entscheidet, aber nur scheinbar. Weil ab dem Moment ist die Frau sicher: Der andere ist es. Da muss man einfach sagen: so schöne Wortwechsel hört man im Baumarkt doch nie. Obwohl, eigentlich doch.

Entscheidend ist doch: Gesägt oder getopft?

„Die Frage ist natürlich: gesägt oder getopft?“, fragt dort die Verkäuferin zurück. Das ist eine sehr schöne Gegenfrage, eine, die einen für eine Sekunde in tiefe Verwirrung stürzt. Denn über „gesägt oder getopft“ hat man wirklich noch nie nachgedacht. Es ist nämlich Mitte November, und nachgedacht hat man da eigentlich nur über die Frage, ob tatsächlich schon je irgendwer bereits Mitte November einen Christbaum gekauft hat.

Im Baumarkt und Gartencenter geht es nämlich viel früher los als an Waldbauern­ständen. Da stehen die Bäume schon seit „KW 46“ herum, wie Mitte November im Branchendeutsch heißt: also zu einer Zeit, in der noch nicht einmal der Christkindlmarkt richtig aufgebaut ist, und der war heuer richtig früh dran. Aber ist ja kein Wunder, Bau­marktbäume haben eine sehr weite Anreise hinter sich, sie kommen 1 000 Kilometer aus Dä­nemark. Da muss man bzw. baum schon etwas früher los, wegen der vielen Staus auf der Autobahn, und die Bahn ist heutzutage ja auch unkalkulierbar. Und außerdem ist es im Groß­markt mit Bäumen genau wie mit dem Osterhasen, der reist ja auch schon kurz nach Dreikönig an.

Der frühere Nachbar zieht heuer etwas früher los als im letzten Jahr. „Ich geh direkt in den Wald“, sagt er, „zu einem Bauern, weil wir den kennen, und schlag den Baum selber.“ Dazu viel Glück: Unser Vater hat das auch einmal versucht, hat die Mutter uns Kindern einmal erzählt: „Nach kürzester Zeit“, hat sie erzählt und herzlich gelacht, „war er wieder da, blutend und ohne Baum. 'Nein', hat er gesagt, 'des kon i ned'.“ Ja, unser Vater konnte sehr viel, doch Bäume fällen halt eben nicht. Und den Christbaum hat immer unsere Mutter geholt, an einem Waldbauernstand. Unser Christbaum war immer sehr schön, und grad der vom letzten Jahr.

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Weihnachtsmann, Santa und der echte Nikolaus