Weihnachtsmann, Santa und der echte Nikolaus
Warum es manchmal ganz schön schwer ist, sie auseinander zu halten. Und dann auch noch das Christkind!
Einmal ist meine Tochter heim von der Schule und hat geschimpft wie ein Rohrspatz. Ich muss dazu sagen, sie war in dem Alter, in dem man beginnt, die Welt zu hinterfragen und selbst bislang unumstößliche Gewissheiten auf den Prüfstand zu stellen, denn sie war sieben und in der Schule war der Nikolaus zu Besuch. „Ich glaub‘ nicht, dass das der echte Nikolaus war“, hat sie gesagt und hat eine ganze Kette an Indizien aufgezählt.
Der Knecht Rupprecht hat nämlich einem gewissen Herrn D. sehr ähnlich gesehen. Und der Nikolaus selbst einem anderen Mann, den sie an der Schule oft sieht, dessen Namen sie aber nicht weiß. Und: Das Goldene Buch war ihrer Ansicht nach gar nicht aus echtem Gold. „Das war aus Plastikgold“, hat sie gesagt und mich hochironisch gefragt: „Glaubst Du vielleicht, dass der Nikolaus ein Buch aus Plastikgold hat?“ Und dann erst, was er daraus vorgelesen hat: Eine Geschichte, wie Maria einen Faden spinnt. „Voll langweilig war das“, hat sie gesagt. Aber der Hammer war: In einer anderen Klasse war der Nikolaus auch, und zwar der echte! „Ich glaub“, hat sie geschimpft, „wir werden verarscht.“
Ich weiß nicht, woher sie solche Ausdrücke hat, von mir bestimmt nicht, wobei, vielleicht doch. Aber ich kann gut verstehen, dass sie so denkt. Der echte Nikolaus nämlich hatte ein Buch aus echtem Gold, das hat ihr ein Bub aus jener Klasse gesagt, und es gibt für sie keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Vor allem deswegen nicht, weil dieser echte Nikolaus keine langweilige Fadengeschichte vorgelesen hat, sondern, was die Kinder alles angestellt haben. „Sowas“, sagt sie, „kann ja nur der echte Nikolaus wissen!“, ihre Logik ist brillant. Und genau darauf, was alle anderen angestellt haben, darauf wäre sie scharf gewesen.
Er selber sagt: „Das ist schön“
Ich glaube, dass Nikolaus-Sein ein harter Beruf ist, vor allem an Schulen. Man wird oft angezweifelt, die eigene Existenz wird in Frage gestellt, das ist doch nicht schön. Man steht vor den Kleinen, lobt und tadelt ein bisschen, und alles, was hängen bleibt, ist eine Diskussion darüber, ob das echt der Nikolaus war, oder vielleicht doch nur der Herr Bachmann, der sich verkleidet hat, und die ganz Schlauen unter den Kleinen entscheiden dann, dass das auf gar keinen Fall der Herr Bachmann war, weil der ja noch nicht so viele Falten hat.
Es entgeht ihnen ja gar nichts. Die Schuhe haben sie schon einmal bei dem Herrn Dings gesehen, die Stimme haben sie auch schon einmal gehört, oder die Augen sind auch genau wie bei dem Herrn Dings. Mit einem Wort: Der Nikolaus hat es schwer. Gut, Politiker auch und Versicherungsvertreter und die ganzen Medien, nicht umsonst sagt eine aktuelle Umfrage vom Oktober, dass diese Berufe in der Vertrauensskala der Deutschen ganz, ganz weit unten stehen. Aber der Nikolaus ist da gar nicht mehr aufgeführt, das lässt doch tief blicken. Doch wenn man den Nikolaus selber fragt, ob Nikolaus-Sein nicht echt ziemlich hart ist, gibt es eine Überraschung: Der Nikolaus lacht und sagt: „Gar nicht, das ist sogar schön.“
Ich habe das Glück, dass ich den echten Nikolaus kenne, und zwar persönlich. Ich trinke fast jeden Morgen einen Kaffee mit ihm, in einem Lokal. Dort erzählt er mir, was schön ist am Nikolaus-Sein: Die kleineren Kinder, die erst drei oder vier oder fünf Jahre alt sind und die Welt noch so sehen, wie sie wirklich ist oder zumindest sein sollte, nämlich wunderbar, die staunen ihn ehrfürchtig an. Bei den ganz Kleinen kommen niemals Gedanken an Plastikgold oder dass er irgendwem ähnlich sieht. Aber insgesamt wird er trotzdem oft verwechselt.
Seine Vergangenheit: Was er gestehen muss
„Ich muss gestehen“, sagt mir der echte Nikolaus und nimmt einen Schluck Kaffee, „ich hab als Santa angefangen.“ Santa ist ein anderes, ein moderneres Wort für den Weihnachtsmann, und der Weihnachtsmann ist der, der manchmal im Werbefernsehen an der Fleischtheke bei Edeka steht und „zwei Kilo Roastbeef“ und „15, nein 20 Rinderrouladen“ kauft, Sie haben den Spot bestimmt schon gesehen. „Mit einem von Woolworth gekauften Santa-Kostüm“, sagt der Nikolaus, „hab ich damals angefangen, weil ich eigentlich mehr oder weniger Stammtischveranstaltungen begleitet hab.“
Sogar „ho ho ho“ hat er gerufen, heute ist ihm das ein bisschen peinlich; es war die Zeit, als der Weihnachtstruck von Coca Cola erstmals über die Bildschirme fuhr. Aber dann sind Anfragen von befreundeten Familien gekommen. Da ist er der Nikolaus geworden, und wer der Kerl ist, der momentan ständig zwei Kilo Roastbeef und 15, nein 20 Rinderrouladen bei Edeka kauft, ist deshalb unklar. Er, der echte Nikolaus, ist es jedenfalls nicht.
Man muss schon sehr aufpassen, dass der echte Nikolaus nicht verwechselt wird. In jedem Einkaufscenter steht jetzt ein Santa, überall ruft einer „ho ho ho!“ und kein Mensch weiß, warum. Oder man fährt mit dem ICE 818 ab Frankfurt Hauptbahnhof wie am vergangenen Samstag, und plötzlich sind ein paar Dutzend Santas da, in roten Flanellmänteln und Weihnachtsmannmützen von Woolworth, singen „White Christmas“, und die Bahn behauptet, dass das alles Nikoläuse sind.
Das ist aber völliger Blödsinn, weil es nur einen Nikolaus gibt, und der trägt eine Bischofshaube. Und keine Weihnachtsmannmütze von Woolworth.
Der echte Nikolaus aber hat sich Bischofshaube und -gewand machen lassen; es erschien ihm ungut, dass er wie der Santa im Weihnachtstruck von Coca Cola aussah; außerdem muss der Cola-Santa ja durch den Kamin, und der von der Fleischtheke auch. Er hingegen klopft an die Terrassentür, nachdem er die Kinder ein bisschen beobachtet hat. Dann holt er sein Buch heraus und weiß sehr, sehr viel über sie, sogar, dass sie ihr Zimmer nicht aufräumen, ja, sogar das. Da staunen sie dann, geloben Besserung und manche halten sich dran.
Wenn sie dann älter und richtig cool sind, treffen sie den Nikolaus wieder, zum Beispiel heute am Christkindlmarkt, da ist er jeden Samstag und Sonntag Spätnachmittag. Es ist aber möglicherweise ein anderer Nikolaus als der vom Morgenkaffee, die Stimme jedenfalls ist anders. Kann es sein, dass es doch mehrere Nikoläuse gibt? Und jeder ist echt? Es sind schwierige Fragen rund um den Nikolaus, es ist ein Geheimnis, und die großen Kids stehen da, und wenn der Nikolaus vorüberschreitet, rufen sie: „Hey, Servus, Nikolaus!“ und wollen High Five mit ihm machen. Sie sind eben sehr cool geworden.
Manche stupsen ihn auch, so von hinten. Oder sie reden ihn von der Seite her an, mit einem dummen Spruch, ob er auch Kondome dabei hat, in seinem Sack, die könnten sie brauchen, so in dieser Art. Dann gibt es Gelächter, und der, der den Spruch gebracht hat, ist in diesem Moment echt eine coole Sau, wie man sagt. Aber dann zeigt ihnen der Nikolaus, was cool sein wirklich ist. Er schaut ihnen direkt in die Augen, grüßt sie sehr freundlich, gibt ihnen die Hand und drückt sie kräftig. „Dann“, sagt der Nikolaus, „kapieren sie, ‚aha, ich muss mich bremsen‘.“
„Schau ma‘, der Weihnachtsmann!“
So macht das der echte Nikolaus, und irgendwie, auf seltsame Weise, sind dann sogar die coolen Kids ein bisschen ehrfürchtig, für einen Augenblick wenigstens. Aber auch hier, am Christkindlmarkt, läuft er immer Gefahr, dass er verwechselt wird. „Ja, immer“, sagt der Nikolaus, „ganz oft passiert das“, vor allem bei Leuten die nicht aus Bayern sind. „‚Schau ma‘, der Weihnachtsmann!‘ sagen die“, sagt der Nikolaus, „in Hochdeutsch oder Sächsisch.“ Da klärt er aber immer gleich auf, dass er nicht der Weihnachtsmann ist, „ich bin ja nicht aus der Cola-Werbung entsprungen“, erklärt er, „weil ein Bischof, das ist doch ganz was anderes.“
Es hat sich eben sehr viel geändert seit dem 4. Jahrhundert, als er Bischof in Myra war und viele Wunder tat. Aber natürlich geht er auch mit den Trends der Zeit. Heute kommen die Leute und wollen ein Selfie mit dem Nikolaus machen, wie mit dem Pep, Kloppo und Angela Merkel, falls sie die alle erwischen, und irgendwann erwischen sie alle. Und wie der Pep, Kloppo und Angie lässt auch der Nikolaus ein Selfie machen mit sich. Warum auch nicht? Ist ja keine Hexerei, so ein Selfie, sondern eine Erinnerung an Nikolaus, und außerdem noch der leichteste Teil des Nikolaus-Seins.
Es ist nämlich so, dass sich noch etwas geändert hat für den Nikolaus. „Unglaublich“, sagt er, „was die Leut‘ an Nikolaus alles herschenken.“ Bei genauer Betrachtung könnte man diesen Satz so interpretieren, dass auch dieser Nikolaus tatsächlich gar nicht der echte Nikolaus ist, weil er ja ganz offensichtlich sagt, dass es „die Leut‘“ sind, die schenken, wo es doch, wie jedes Kind weiß, der Nikolaus ist, der herschenkt.
Was dann Merkwürdiges geschah
Aber das war wohl nur eine unglückliche Formulierung vom Nikolaus; denn es ist letztlich tatsächlich er, der die Geschenke bringt. „Ich hab einen riesengroßen Kartoffelsack“, sagt der Nikolaus, und mit „riesengroßen Kartoffelsack“ meint er nicht die diese Kartoffelnetze mit 2,5 oder 5 kg aus dem Supermarkt, da meint er schon wirklich einen riesengroßen Kartoffelsack. „Und der“, erzählt er, „ist manchmal wirklich nur für ein Kind gefüllt.“
Nicht nur mit Apfel, Nuss und Mandelkern, sondern mit einem Wust an Geschenken, darunter kann auch ein riesiger Tretbagger sein, und drei Wochen später ist Weihnachten. Dann kommt das Christkind, beziehungsweise der Weihnachtsmann, beziehungsweise der Santa, und schleppt noch mehr an. Es ist sehr verwirrend: Früher war‘s echt nur der Nikolaus, der Geschenke gebracht hat. Aber dann hat Martin Luther das Christkind erfunden, weil Luther die katholische Heiligenverehrung nicht besonders gut fand. Und dann ist etwas wirklich Merkwürdiges geschehen. Plötzlich war es so, dass der katholische Süden das Christkind hatte und der protestantische Norden den Weihnachtsmann, und seine Mütze hat Woolworth.
Heute heißt der Weihnachtsmann immer öfter Santa, sogar im Süden, nur an der Edeka-Fleischtheke heißt er noch Weihnachtsmann und bei der Bahn Nikolaus, ist aber Weihnachtsmann. Aber der Nikolaustag ist wieder großer Geschenktag, fast so groß wie Weihnachten und zum Christkind, das mit dem Nikolaus über den Christkindlmarkt geht, sagen die Leute, „schau mal, der Weihnachtsmann mit seinem Engerl.“ Anderswo gibt‘s keine Christkindlmärkte mehr, nur Winter- und Knuspermärkte, weil man immer meint, dass man Neues braucht, und wenn’s ein Schmarrn ist. Zu meiner Tochter hab ich gesagt, dass ich auch oft nicht genau weiß, was echt und was falsch ist; dass es aber ganz bestimmt Sachen gibt, die kann nur der echte Nikolaus wissen.