Jäger des verlorenen Leberkas

Es waren die besten Leberkassemmeln der Welt. Es gibt sie nicht mehr. Es bleibt nur die Sehnsucht

 Kürzlich ist ein E-Mail in der Redaktion eingetrudelt, was, wie man sich leicht vorstellen kann, an sich nicht weiter bemerkenswert ist. In einer tüchtigen Redaktion trudeln ja täglich tausende E-Mails ein, oft sogar mehrmals am Tag, es ist nichts Besonderes. Dieses E-Mail aber war ein besonderes. Seit Jahren, so schrieb die Verfasserin, beschäftige sie ein Schicksal: das Schicksal des legendären Wolf-Leberkas. Ja, sie schrieb „legendär“. Und das mit Recht.

„Unserem Empfinden nach“ schrieb die Verfasserin, „handelt es sich hierbei um ein Thema von außerordentlicher Straubinger Wichtigkeit!“, das Ausrufezeichen unterstrich dies. „Vielleicht“, so schrieb sie weiter, „erscheint Ihnen als alt(Verzeihung!)eingesessenem Straubinger ja schon in diesem Moment eine Scheibe Wolf-Leberkas in seiner urtypischen Farbe  vor dem geistigen Auge.“ Was soll man sagen? So war es.

Eine Szene stieg vor dem inneren Auge auf, aus dem Turmair-Gymnasium der 70er Jahre. Dort waren Pädagogen am Werk, die teils von drakonischer Strenge waren, teils gütig bis an den Rand der Hilflosigkeit und darüber hinaus. Bei einem solchen stand einst mitten im Unterricht ein pubertierender Schüler auf. Wortlos ging er zur Tür. „Wohin?“ fragte gütig der hilflose Lehrer. „I hol mir zwoa Leberkassemmeln“, informierte der Schüler, entfernte sich keck und kehrte kauend zurück. Es waren, natürlich, Wolf-Leberkassemmeln. Die legendären. Die besten der Welt. Ein Meisterwerk heimischer Metzgerkunst. Es gibt sie nicht mehr. Doch was geschah mit dem Rezept?

 „Für sachdienliche Hinweise wären wir dankbar“

„Gerüchten zufolge wurde das Originalrezept seinerzeit an die Metzgerei Wenisch  verkauft“, schrieb die Frau weiter. „Persönliche Nachforschungen haben jedoch ergeben, dass diese Spezialität dort leider nicht (nicht mehr???) angeboten wird.“ Das E-Mail endete: „Wie köstlich und trostreich wäre doch jetzt eine dicke Scheibe Original-Wolf-Leberkas (mit Händlmaier-Senf und einer Semmel) in unserer Post-Volksfest-Depression! Für sachdienliche Hinweise wären wir Ihnen sehr dankbar. Vielleicht sind wir ja kein Einzelfall und Sie könnten auch noch weiteren Leberkas-Gourmets einen großen Dienst erweisen.“

E-Mails wie diese sind gefundene Fressen für Zeitungsreporter. Die Verbindung zwischen Zeitung und Leberkas war ja seit je her eine enge, man denke nur an „Ruaf mi ned a“, Georg Danzers traurige Liebesballade, die sich in der anrührenden Zeile „Sog, host scho vergessn, wiara Leberkas schmeckt ausm Zeitungspapier?“ zu einem emotionalen Höhepunkt aufschwingt; traurig, dass die EU-Hygienepolitik solche Sternstunden der Poesie inzwischen unmöglich macht, denkt der Reporter, und ihn tröstet nur, dass er dafür aber über Leberkas-Krisen der hiesigen CSU reportieren darf. Dann setzt er seinen inneren Indiana Jones-Hut aufs schütter werdende Haupt, und dann los: Auf der Suche nach dem verlorenen Leberkas.

Erste Anlaufstation: Anton Wenisch. Es ist ein Treffer. „Absolut richtig“, sagt nämlich Anton Wenisch, „ich hab die Originalrezeptur von 1880 abschreiben dürfen“, und er erzählt, wie es dazu kam. Irgendwann im Jahr 1997, als die Wolfs ihr Unternehmen an ein zufällig namensgleiches Unternehmen aus Schwandorf verkauften, lud ihn Hermann Wolf, der Enkel Kajetans, des Firmengründers, in die Metzgerei. Um fünf Uhr früh traf Wenisch dort ein.

 Die riesige Brotteig-Knetemaschine

Was er dort sah, ließ ihn staunen. Eine riesige Brotteig-Knetmaschine stand da; eine, wie man sie früher in Bäckereien hatte: das Herzstück des legendären Produkts. Dort hinein kamen gekuttertes Schweinefleisch und gekutterter Speck. Brät aus Jungbullenfleisch wurde zugegeben. Das Originalrezept verlangt Brät aus noch warmem Fleisch, direkt nach der Schlachtung, es bindet den Geschmack. Nicht auf einmal, nein, in mehreren Schritten wurde das Brät zugegeben. Langsam, sehr langsam, vermengte die Teig-Maschine dann alles.

„'Was? So viel Aufwand?' hat der Wenisch gesagt“, erinnert Fritz Aumüller sich, er war der letzte Wolf-Produktionsleiter. Fast eine Stunde dauerte es, fünf mal so lang wie anderswo, in die Abläufe heutiger Metzger passt das nicht mehr. Die Zeit gemessen, sagt Anton Wenisch, „wurde mit einer ganz speziellen Uhr.“ Sein Vater, erzählt er, war ebenfalls Metzger und auf seinen eigenen Leberkas stolz. „Erst mit 75“, sagt Wenisch, „hat er zum ersten Mal überhaupt den Wolf-Leberkas probiert. 'Saggra', hat er gesagt, 'oh, der is wirklich so gut.“

Drei Jahre lang hat Wenisch dann den Wolf-Leberkas gemacht. Auch den Schwandorfer Wolf belieferte er. Doch der setzte dann auf seinen eigenen Leberkas. „Damit ist der Absatz weggebrochen“, sagt Wenisch, „und ich hab aufgehört.“ Das Rezept hat er noch, aber er hält es geheim. Doch einen Tipp gibt er mit auf die Jagd: „Der Schmidt Richard“, sagt Wenisch, „weiß viel über den Leberkas. Der hat ihn in jungen Jahren gemacht.“ Also auf zum Schmidt, dem früheren Löwen-Wirt und noch früheren Metzger bei Kajetan Wolf, und zuvor in die Leberkas-Poesie.

Der Wolf-Leberkas ist der berühmteste Leberkas der ganzen Welt. Zahlreiche Metzger versuchten, ihn nachzumachen so wie Konditoren versuchen, die Bernauer-Torte zu machen. Das Original erreicht keiner.

„Der Wolf-Leberkas“, sagt Hermann Hiendl aus Obermotzing, „war irgendwie a bsondere Sach“, auch er hat es versucht. Sein Produkt war wohl gut, aber nicht das Original. Das Original ist der einzige Leberkas, den eine Ode besingt. Im Internet findet man sie überall, wo es um Leberkas geht, ob auf einer Info-Seite des ORF Steiermark, norddeutschen Schmankerl-Tipps oder der Seite der Bayern Tourismus Marketing. Marzell Oberneder, Straubings Dichterfürst des 20. Jahrhunderts, hat die Ode verfasst. Einst saß er mit Hermann Wolf sen. zusammen, dem Sohn des Kajetan, und Oberneder sagte spontan: „Herr Wolf, ich mach Ihnen a Ode auf Ihren Leberkas!“ Und er ging heim und er schrieb:

„Zu den meistbegehrten Sachen g´hört seit je das Brotzeitmachen / Will man es so richtig feiern, fährt man halt nach Niederbayern, / wo man, altem Brauch gemäß, zu gern isst den Leberkäs, / den vom Wolf, dem Kajetan, der mit Recht steht vorne dran.“ Es folgten elf weitere Zeilen, die noch heute jeder zitiert, der über Leberkas schreibt, bei Taxi-muenchen-online.de finden wir sogar eine englische Version, die jedoch erbärmlich ist. Dennoch darf man behaupten: Wenn Marzell Oberneder heute weltweit ein Begriff ist, verdankt er dies diesem Leberkas, und umgekehrt gilt das genauso.

 „Es war ein Wecker, ein ganz normaler“

„Ja“, sagt Richard Schmidt, „ich hab in den 70er Jahren den Leberkas gemischt“: wieder ein Treffer. „Der Wolf Senior“, sagt Schmidt, „hat immer speziell drauf geachtet, dass er gemacht wird, wie er sich das vorstellt.“ Exakt waren die Zeiten der Teigmaschine einzuhalten; hoch musste die Fleischqualität sein; niemals Reststücke; immer 1a.  „Das Mischverhältnis“, sagt Schmidt, „war das Ausschlaggebende“, und nur zu der speziellen Uhr erklärt er: „Des is a Wecker gewesen, a ganz normaler Wecker.“

Einmal pro Woche wurde das Brät gemacht; Bullenschlachttag war Donnerstag, das Schweinefleisch war jeden Tag neu: zehn Minuten das grobe, zehn Minuten das feine, dann drei Mal das Brät, jeweils zehn Minuten. Statt Pökelsalz nahm man Kochsalz, das machte das typische Grau des Wolf-Leberkas, das war kein Geheimnis. Aber dann die Gewürze: „Das war ein Geheimnis“, sagt Schmidt, „das hat eine andere Abteilung gemacht. Das war ja streng geheim.“

Mazisblüte, so vermutet er, Majoran und Muskat, dazu Koreander und auch Zitrone, „und dann noch a bissl a Maggi“, es klingt hochinteressant, und gebacken wurde bei niedrigen 130 Grad. Damit wissen wir viel, aber nicht genug. Also auf zu Hermann Wolf, dem Enkel des Kajetan. Er muss alles wissen, vielleicht auch sogar, wo das Originalrezept von 1880 heute ist. Vielleicht würde sogar ein Foto gelingen, eines der Originalrezeptur von 1880, und man würde zurückkehren in die Redaktion als der Indiana Jones der Leberkas-Forschung.

 „Die Fleischrezeptur ist nicht das Geheimnis“

Aus Gäu und Wald waren die Menschen früher zum Wolf geeilt. Den Einkauf in der Stadt haben sie sich versüßt mit einer Leberkas-Brotzeit und Händlmaier-Senf, „Er war berühmt im Wald“, hat uns Angelika Stelzer erzählt, die früher bei Kajetan Wolf war und jetzt bei Wolf Schwandorf ist: „Ich bin ja selber aus dem Wald, und der Leberkas hat einfach zugehört zu einem Straubing-Besuch.“ Nur hier wurde er verkauft, obwohl Wolf auch Filialen in Landshut, Deggendorf, Plattling und München hatte. Er war eine Straubinger Spezialität.

„Heut noch“, erzählt Angelika Stelzer, „fragen Leute danach: 'Mei, habts ihr den guadn Leberkas no?', vor allem zur Volksfestzeit.“ Aber insgesamt war der Absatz doch rückläufig. Wo sie früher sechs Reindl verkauft haben, waren es am Schluss nur noch zwei oder drei. Irgendwann wurde der Auftrag bei Wenisch storniert.

Und dann sitzen wir bei Hermann Wolf. „Die Fleischrezeptur“, sagt Hermann Wolf, „kann ja kein Geheimnis sein. Zwei Teile durchwachsenes Schweinefleich, ein Teil Rind, Salz, Eis.“ Und die Gewürze? „Mein Vater und Großvater haben das sehr geheim gehalten“, sagt Hermann Wolf. er selbst kann es auch nicht mehr preisgeben: „Wirklich, ich habs vergessen.“ Und das Originalrezept, das von 1880, ist inzwischen verschwunden. Es ist ein Jammer.

 „...dann einen schönen Leberkas machen“

Was aber, wenn es wieder auftauchte? Oder sich Wenisch entschlösse, es aufleben zu lassen? Wäre diese Legende von Leberkas heute noch ein Renner? „Mei“, sagt Hermann Wolf, „da können Sie hundert Leut fragen, da werden Sie hundert Meinungen kriegen.“ Grober Leberkas? Wird heute selten verlangt. Er gilt als fett, weil das Fett nicht so fein zerkleinert ist. Als kleiner Imbiss ist Leberkas nicht mehr konkurrenzlos; heute provozieren pubertierende Schüler gütige Lehrer eher mit Döner. Und die Produktion dieser Leberkas-Legende war so zeit- und energieintensiv, dass er schon damals teurer als jeder andere war.

Bis zu 150 Kilo täglich hat Wolf in der Hochzeit des Leberkas produziert, und nur in Straubing. Ein Versuch, ihn in München zu etablieren, ist gescheitert. „Er war zu fremd“, sagt Hermann Wolf, es war eine Straubinger Spezialität. Aber wenn man Angelika Stelzer fragt, ob sie glaubt, dass dieser Leberkas heute noch gehen würde, sagt sie: „Ja. Hundertprozentig.“ Nicht mehr die Menge wie früher, aber doch immerhin. „Ich bin mir sicher“, sagt auch Fritz Aumüller, „ich weiß bloß ned, was er kosten tät.“

Und Richard Schmidt sagt, dass er sich das schon oft gedacht hat: „Ein kleines Laderl, in der Stadt oben, des nur a paar Stund' offen hätt'. Und dann einen schönen Leberkas machen“, und dann lacht er ein bisserl. „I kannt's scho no“, sagt er. Schön wär das schon.

 

Zurück
Zurück

Weihnachtsmann, Santa und der echte Nikolaus