Ach, Heiligabend

Vorsicht, zerbrechliche Kugeln! Foto: Engel

 Ach, Heiligabend: Wunderbar, wenn man da Kinder hat oder noch selber eins ist, wenigstens ein bisserl. Wenn irgendwann nach 17:00 Uhr das Glöckerl bimmelt und man ins Zimmer stürmt, aus dem das Christkind grad noch so irgendwie hinaus huscht, so dass die kleine Tochter grad noch einen goldblonden Haarschopf sieht oder sich einbildet zu sehen; und dann da der Baum ist, der glitzert und glänzt, und unter ihm die ganzen Packerl, die bunten: dann ist das Schlimmste überstanden. Weil vorher ist es oft schlimm.

Oft gehts damit los, dass der Nachwuchs heimkommt, und zwar vom traditionellen Glühweinausschank und sehr stark erheitert. Generationen von Straubingern erinnern sich dran, wies dann daheim gekracht hat. „Das Erste“, berichtet uns die Gabi, „war a Watschn von der Mutter. Und das Zweite war die Frage, ob ich spinn'“, da war die Bescherung schön. Jahre später hatte die Gabi selber eine Tochter, und an Heiligabend einen Hals: „Der war so dick“, erzählt die Gabi und breitet die Arme einen ganzen halben Meter aus. Denn die gesamte Großfamilie war da, die  Omas, Opas, Onkeln, Tanten; und die Tochter kam vom Glühweinausschank heim, so stark erheitert wie damals ihre Mutter.

Eine Watschn gab es für die Tochter nicht, so etwas tut die Gabi nicht. Aber sie war schon ziemlich grantig, denn stark erheiterte Töchter sind Müttern peinlich, wenn die gesamte Großfamilie da ist. „Kann sein“, lächelt die Gabi sinnend, „dass ich auch ein bisserl neidisch war.“ Glühweinausschank am Heiligabend, früher vorm Gala, heute woanders, ist etwas Feines, aber für den Familienfrieden manchmal ungut: Heiligabend unterm Baum.

…und dann hat es “Rumms!” gemacht!

Schon das Baumaufstellen ist oft problematisch. Hören wir nun, was der allseits bekannte Vogelbernd aus seiner Kindheit berichtet: Wie seine Mutter zu seinem Vater noch extra gesagt hat: „Aber tu fei den Baum gscheid standfest machen.“ Christbaumkugeln aus Glas hatte sie gekauft, „a jede einzelne“, berichtet der Vogelbernd in vermutlich nur ganz leichter Übertreibung, „war teurer als das teuerste Geschenk unter dem Baum.“ Dann hat es erst „rumms!“ gemacht und dann „klirr!“ Der Baum war nicht gut aufgestellt.

Dann war es kurz still; sehr kurz und sehr still; eine Art Schockstarre vermutlich, und dann sehr, sehr laut. Und dann war für den Rest des Abends stille Nacht. Der Vater wanderte aus, tief hinunter in den Keller, wo er verbissen und stundenlang die Eisenbahn des kleinen Bernd – natürlich Märklin - in eine Köf-Diesellok umgebaut hat, derweil oben im Wohnzimmer Christbaumkugeln und Stimmung in doch arg vielen Scherben lagen.

Der Christbaumständer von Klaus Krinner war damals leider noch nicht erfunden. Vielleicht wäre Heiligabend bei Vogels sonst anders verlaufen. Für viele Väter war diese Erfindung die Rettung. Bis dahin hatten sie viel kostbare Lebenszeit damit verbracht, den Baum aufzustellen, auszurichten, zu justieren, zu fixieren; nie gelang es. Immer stand der Baum schief.

“Krinner, der Retter, ist da!”

Und immer waren Frau und Kinder dabei, die das hilflose Treiben verfolgten, erst heiter, dann genervt, was nicht dazu beitrug, die Stimmung des verzweifelt sich Mühenden zu heben. Im Gegenteil. Doch dann kam Krinner, und die Väter sangen: „Krinner, der Retter, ist da!“ Obwohl Väter unterm Baum eher sehr ungern singen.

Krinners Erfindung hilft leider nicht immer. Der Joschi Krönner hat mir erlaubt zu erzählen, wie einmal trotz Krinner beim Krönner der Christbaum fiel. Zusammen mit seiner Tochter hatte er ihn in Krinners Erfindung gestellt und wunderbar behängt; aber am Ende des Schmucks war noch viel Baum übrig. Da gingen sie hinunter zum nahen Christkindlmarkt, um Schmuck nachzukaufen. Bei ihrer Wiederkehr lag der Baum da wie damals bei den Vogels. Er war leider so krumm gewachsen, dass er Übergewicht bekam. Er stürzte um. Denn nicht einmal Krinners Erfindung kann den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.

Wir unterstellen nun, dass es der Joschi Krönner selber war, der den Baum ausgesucht hat. Falls das so war, wäre es typisch. Männer – und Väter ganz besonders – agieren oft irritierend seltsam, wenn es um den Christbaum geht. Dazu ein glaubwürdiger Bericht über einen Vater, der ein Faible hat für große Bäume, und zwar für solche direkt aus dem Wald. Dieses nun ist der Bericht seiner Tochter, die wir Steffi nennen wollen, weil sie wirklich so heißt:

Kurz vor Heiligabend zieht er los, in einen Wald, und sie darf mit. Dort steht er dann und lugt aus nach den allerhöchsten Tannen. „15 Meter mindestens müssen sie sein“, behauptet seine Tochter. Wenn er so hohe Tannen gefunden hat – und im Wald findet man immer mindestens eine solche – dann späht er hinauf in den 15 Meter hohen Wipfel und fragt, ob sie, die Steffi, glaube, dass die Spitze ganz oben eine schöne Spitze wäre. „Und dann sagt er“, sagt seine Tochter: „'weil dann könnt ma's fällen und als Christbaum verwenden'.“ Sie rät dann immer eher davon ab, einen 15 Meter hohen Baum zu fällen. Dann besorgt er irgendwo anders einen Baum. Der muss mindestens 4,50 Meter groß sein.

Typisch: Wer als Einziger nix schenkt

Den bringt er heim; aber die Zimmerhöhe ist leider deutlich unter drei Metern. „Dann“, sagt seine Tochter, „schneidet er oben die Spitze ab. Damit der Baum ins Zimmer passt.“ Dann tritt die Mutter auf. Sie sieht die Spitze, die abgesägt am Boden liegt, und dann wird es heiter. „So war das oft“, sagt Steffi fröhlich und erzählt fröhlich weiter, wie ihr Vater – dank Krinners Erfindung – einmal den Baum mehr oder weniger blitzschnell aufgestellt hat, und mit ihrer Hilfe, weil sie ist ja eine gute Tochter ist.

Er nahm den Baum, stellte ihn prüfend auf den Boden, denn er wollte sehen, wie er sich denn mache an dieser Stelle. Dann stellte er fest, dass kein Christbaum­ständer im Zimmer war. „Da hat er gsagt: 'Hoit amoi schnell', und is' schnell naus“, sagt Steffi, „und dann bin i da gestanden.“ Erst fünf Minuten, dann zehn. Der Arm begann nun zu schmerzen. Nach 20 Minuten kam zufällig die Mutter herein. „Des kann doch ned so lang dauern, bis ma an Christbaumständer ausm Keller holt?“, sagte die Steffi. „Wieso Keller?“ fragte die Mutter erstaunt, „der Babba is zum Baumarkt! Weil er dort an neuen kauft.“

Doch irgendwann steht jeder Baum, und irgendwann klingelt das Glöcklein. Dann kann es sein, so wird von einem Sohn berichtet, dass der Vater Folgendes feststellen muss: Die Mama hat ihm was geschenkt. Und das, obwohl fest ausgemacht war, dass sich die Eltern gegenseitig nix schenken. Der Vater, ein Mann von jenem alten Schlag, für den ein Wort noch ein Wort ist, hat sich, Ehrensache, strikt daran gehalten. Die Frau, die wortbrüchige, jedoch ganz offensichtlich nicht. Allein das stimmt ihn bereits verdrießlich: weil er nun da steht als derjenige, der als Einziger nix schenkt.

..und dann der Rumms mit der Oma!

Er öffnet das Geschenk. Es ist ein Gutschein für ein Wellness-Wochenende in St. Englmar. „Er hat nix gehabt“, sagt der Sohn, „weils so ausgemacht war. Und Wellness-Wochenende mag er sowieso ned.“ Für diesen Vater war das Fest gelaufen, und man kann nicht ernsthaft erwarten, dass einer, den ein Wellness-Wochenende in St. Englmar erwartet, bei „Oh, du fröhliche“ überhaupt noch mitsingt.

„Singts ihr dahoam an Weihnachten?“, fragt zum Beispiel ein bekannter Sprechwirt und bekennt: „Des mog i überhaupt ned.“ Zuhören gerne, sagt er, selber singen lieber nicht, weil er, wie fast jeder Mann, schwer davon überzeugt ist, dass er das nicht kann. Das ist immer eine sehr spannende Situation: wenn die Mama, alle Jahre wieder, den Versuch macht und ein Lied anstimmt. Dann wandert ihr Blick von einem ihrer Lieben zum anderen, der Blick fleht, „etz sing wenigstens du mit!“. Aber der Papa singt schon seit dem Stimmbruch nicht mehr und der Nachwuchs war zu lange beim Glühweinausschank.

Ein bekannter Straubinger - ohne Namen, aus Rücksicht auf die Oma -  hat uns in Zusam­menhang mit einem Heiligabend-Schwips verraten, wie in seiner Kindheit ein Schwips einmal seine Festfreude ramponiert hat. Eine Carrera-Bahn hatte das Christkind gebracht, mit Loo­ping, was ihn sehr erfreut hat. Und auf dem Esstisch stand Punsch, was die Oma erfreut hat. Nach viel Punsch ging die Oma dahin, wo man manchmal hinmuss. „Dann war ein Riesen-Rumms“, sagt der bekannte Straubinger, „dann ist die Oma daglegen; alles war hin, und der Looping war total zerquetscht.“ Manchmal geht das Schlimmste erst richtig los, wenn das Glöckerl bimmelt. Frohe Weihnachten!

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Fröhliche Weihnacht!