„Wir müssen über die Stammwähler hinaus“
Erhard Grundl. Foto: Privat
Erhard Grundl, Ihre frühere Parteichefin Ricarda Lang hat nach ihrem Rücktritt Folgendes festgestellt: Ohne Posten oder Mandat kann man offener sprechen. Sie sind seit der Wahl jetzt so etwas wie der Elder Statesman zumindest der niederbayerischen Grünen: Stimmen Sie ihr zu?
Erhard Grundl: Nein, weil ich auch vorher, mit Mandat, schon offen gesprochen hab.
Nach Lage der Dinge: Es kann nur eine Union-SPD-Koalition geben oder Neuwahlen. Was wird’s?
Grundl: Naja. Die Frau Schwesig (SPD-Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern) hat ja gesagt, es soll die Basis entscheiden. Und wenn der Straubinger Kandidat Marvin Kliem für die Basis spricht, dann wird’s Opposition. Er hat ja gestern gleich gesagt, die SPD soll in die Opposition gehen. Aber ich erwarte, dass es eine CDU/SPD-Koalition geben wird. Wie lang die dann halten wird, steht auf einem anderen Blatt.
Als jemand, der die handelnden Akteure kennt, aber selbst nicht dabei ist: Die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis überhaupt, sie ist aber die einzige Koalitionsmöglichkeit für die Union. Ist ihre Verhandlungsposition damit schwach oder stark?
Grundl: Ich würde sagen, dass sie stark ist. Ich weiß nicht, ob die Union so leicht in Neuwahlen gehen würde, vor allem Merz. Merz hat ja viel höhere Erwartungen geweckt und hat jetzt nur diese eine Option mit der SPD.
Fast 14 Prozent der Stimmen fallen diesmal unter den Tisch wegen der Fünf-Prozent-Hürde. Heute früh hat jemand zu mir gesagt: „Ich hätte FDP gewählt, wenn ich nicht davon ausgehen hätte müssen, dass die Stimme verschenkt ist wegen der Fünf-Prozent-Hürde.“ Kann das okay sein?
Grundl: Die Fünf-Prozent-Hürde ist schon wichtig. Das sind einfach Lehren aus der deutschen Geschichte.
Andererseits: Es dürften viele Leute so gedacht haben wie der Wähler von heute früh, und dann wäre ohne diese Hürde die FDP über diese Hürde gekommen. Und dem BSW (4,972 Prozent) fehlen bei 60 Millionen Wahlberechtigten nur 13 400 Stimmen. Kann man so viele Wähler weglassen?
Grundl: Das ist halt in der Demokratie so. Das ist wie bei der Klassensprecherwahl. Eine Stimme mehr, und es reicht oder nicht. Da kann man sich ärgern, aber das steht im Grundgesetz mit den fünf Prozent. Und das Beispiel der Linken zeigt, dass eine Partei schon aus eigener Kraft Stimmen gewinnen kann.
Da sagt aber Habeck: Der Merz war’s, der viele Wähler zur Linken getrieben hat und damit schuld ist am schlechten Ergebnis der Grünen. Da hat man dann doch wieder den Eindruck, dass immer die anderen schuld sind und die Ricarda Lang recht hat: Wer in Amt und Funktion ist, muss unliebsame Ergebnisse verkaufen wie Mist als Gold.
Grundl: Naja, da hat der Habeck nicht ganz Unrecht mit seiner Analyse. Merz hat schon sehr unverständlich agiert zuletzt mit der Abstimmung von AfD und Union. Und wenn die Grünen dann andeuten, dass sie mit dieser Union eine Koalition eingehen würden, dann mögen relevante Teile der Grünen-Wähler das halt nicht, und die sagen dann, dann unterstützen wir halt die Linke.
Habeck hat heute seinen Rückzug erklärt. Wie werten Sie das?
Grundl: Unser Ergebnis ist schlechter als beim letzten Mal. Wahlkampfmäßig kann ich ihm nichts vorwerfen. Er hat keine größeren Fehler begangen, aber er ist ganz vorne gewesen. Dass er die Verantwortung übernimmt, ist honorig. Wenn man vergleicht mit den Katastrophenergebnissen, die Söder in der Vergangenheit eingefahren hat, finde ich das ganz okay und es gibt der Partei die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.
Die AfD ist praktisch verdoppelt. Wird es nicht Zeit, über andere Gegenstrategien nachzudenken als Brandmauern, geöffnete Höllentore und ähnliche Kampfbegriffe?
Grundl: Die AfD muss selber ja gar nichts tun, weil alle anderen sich vehement gegenseitig bekämpfen. Je mehr die konservative Seite sagt, was alles schlecht läuft, dann sagen die Leute, die sind doch selber mit schuld dran.
Dann sind also doch immer die anderen schuld, und ich möchte noch einmal die Ricarda Lang zitieren: Wenn eine Partei wie die AfD so stark wächst, hat das immer auch mit der Regierung zu tun. In dem Fall die Ampel.
Grundl: Natürlich, ich negier das nicht. Ich glaub aber, das Problem der Grünen ist ganz anders gelagert. Die AfD ist ein Problem für alle, und für die Grünen ist abgesehen davon das Problem: Wir kommen nicht über die Stammwählerschaft hinaus. Um Einfluss zu haben, muss man aber darüber hinaus.
Und wie schafft man das?
Grundl: Ich glaube, dass man auch beim Personal schauen muss. Dass man auch Leute aushält, die Widerworte wählen. Zum Beispiel Boris Palmer: Ich teile nicht alles, was er sagt. Aber eine Partei, die Volkspartei sein will, muss das aushalten, und ich weiß, dass er ein Grüner ist. Da halte ich nix von einer Brandmauer.
Die Grünen hatten immer eine Gemeinsamkeit mit der Union: Unterstützung der Ukraine. Was glauben Sie: Was bedeutet jetzt ein Unionskanzler für zum Beispiel Taurus-Lieferungen?
Grundl: Jetzt muss man schauen, wer da bei Union und SPD die Oberhand gewinnt. Ob es die sind, die auch zu Trump fahren, oder überlegtere Außenpolitiker wie Roderich Kiesewetter. Dann würde es schneller zu Taurus-Lieferungen kommen, und das wäre nach meiner bescheidenen Expertise schon ein entscheidender Punkt.
Wenn man aus dem Bundestag rausgeht und 62 ist: Was macht man dann mit seinem Leben?
Grundl: Ich bin da sehr entspannt. Ich hab ehrenamtlich Einiges, ich werde weiter im Vorstand der kulturpolitischen Stiftung und im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes sein, und es gibt ja einige, die nicht mehr antreten und jetzt nach Riccarda Langs Lesart „mehr Beinfreiheit“ haben. Und da werden wir wie gewohnt die Wahrheit sagen, hinter verschlossenen Türen. Da freu ich mich auch drauf.
Aber Sie haben ja nicht mehr Beinfreiheit, weil Sie sagen, Sie haben das vorher ja auch schon so gemacht.
Grundl: (lacht) Ja.
Erhard Grundl, vielen Dank für das Gespräch!