Total gut gemeint

Man soll ja neugierig bleiben, also auf zu Hasso von Winnings Montagsgespräch „Wehrhaft nur mit Waffen?“ im Anstatt-Theater: Was soll ich sagen? Es war so erwartbar. Nichts, gar nichts, war überraschend oder neu. Es war wie immer: Total gut gemeint. Ausflug in ein Land, in dem das Wünschen noch geholfen hat:

„Trotz des Krieges in der Ukraine und des Redens von der Kriegstüchtigkeit will Pfarrer Bernd Reuther verdeutlichen, warum er sich auch heute dennoch als Pazifist sieht“, steht in der Ankündigung für diesen Abend. „Trotz des Redens von Kriegstüchtigkeit“: Da schaudert man schon. Kriegstüchtig sein ist offenbar schlimm. Andererseits: Die Franzosen und viele andere wären froh gewesen, wären sie’s gewesen, als Wehrmacht und SS über sie kamen.

Deshalb waren im Anstatt-Theater die einen, die glauben, dass der Freiheit manchmal nur Waffen helfen, gegen Nazis zum Beispiel oder auch gegen Putin. Und da waren die anderen, die „nicht aufhören wollen, an die Vernunft zu glauben“, wie Hasso von Winning die Gegenposition beschrieb. Damit steht von vornherein jeder, der für vernünftig hält, großen Mördern wie Hitler und Putin mit Waffen entgegenzutreten, als unvernünftig im Raum: ein vermutlich bedauerlicher Kollateralschaden im demokratischen Diskurs.

Nein, so ist das nicht gemeint, wird Hasso von Winning dazu vielleicht sagen. Aber so kommt die Botschaft an: „Die Vernunft“ ist Pazifistin, deshalb wird die pazifistische Position an diesem Abend immer wieder erklärt mit Phrasen wie „Das hat was mit Vernunft zu tun“, oder „Es liegt an der Vernunft des Menschen“. Da bleibt für die andere Position zwangsläufig nur die Unvernunft.

Deshalb ist es für Pfarrer Reuther problemlos möglich, die andere Position mit „Hauen wir noch ein paar Billionen in Waffen, scheißegal“ zu diskreditieren. Als ob all die, die an das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes und das Recht auf Widerstand glauben, verantwortungslose „Scheißegal“-Typen wären. Da zeigt sich wenig von dem Respekt, den von Winning für Andersdenkende anmahnt.

25 Menschen etwa waren gekommen, alle klar über 50, alles Zeitzeugen der Friedensbewegung der 80er Jahre mit Nato-Doppelbeschluss. Den vergleicht Hasso von Winning mit der geplanten Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland: „Das hatten wir doch schon mal?“, sagt Hasso von Winning, es klingt wie die Warnung vor der Rückkehr eines Wiedergängers.

„Nur 1 600 km Luftlinie“, erklärt von Winning, haben diese Raketen bis Moskau. Ist es überinterpretiert, wenn man da ein „Verständlich, dass das die Russen besorgt und sie ihrerseits aufrüsten“ spürt? Die ersten russischen Raketen stehen übrigens nur 600 km von Berlin entfernt. Diese Zahl kommt aber nicht vor.

Und Pfarrer Bernd Reuther unterliegt der Versuchung, das russische Narrativ von der Nato-Osterweiterung nachzuerzählen: „Es gab `mal `nen Deal, dass an die russische Grenzen keine Nato geht“, sagt Reuther. Wieder: Die Nato. Aber den Deal gab es so nicht. Zur Wiedervereinigung 1990 wurde zugesichert, dass keine Nato-Truppen auf ostdeutsches Gebiet gehen. Das wurde eingehalten, über die damaligen baltischen Sowjetrepubliken wurde genauso wenig gesprochen wie heute mit Erdogan über einen Aufnahmestopp eines kurdischen Staates, falls die Türkei zerfällt. Erdogan würde sich schon die Andeutung verbitten.

Aber dieses Narrativ passt so gut zu dem Wunsch, man könne auch mit Putin verhandeln. Wer weiß, vielleicht ist Putin tief drin sogar Pazifist? Im Wunschland lebt der perfekte Mensch, er ist vollkommen. Nur leider kommen in der wirklichen Welt immer wieder Soziopathen zur Macht, die nicht verhandeln, sondern sich alles nehmen, wenn man sie lässt. Kein Mensch ist vollkommen, obwohl das so wünschenswert wäre. Manche sind gut, manche sind abgrundtief böse, manche naiv, und manche alles zusammen. Wehrhaft nur mit Waffen? Ja, wie denn sonst in der wirklichen Welt?

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