Tom Pokel

Hey, war das ein Aufschrei am Millerntor, ziemlich genau vor zwei Jahren: Der Zweitligist St. Pauli entlässt den Trainer, mit dem sie im Vorjahr fast aufgestiegen wären, und nur, weil das Team zu weit vom Saisonziel entfernt war! Riesenproteste, Online-Petitionen, alles. Vergebens: Der Trainer muss gehen, trotz aller Fanproteste: Heute spielt St. Pauli Bundesliga.

Jetzt hat sich Straubing von Tom Pokel getrennt, dem erfolgreichsten Trainer der Clubgeschichte, und der Anhang schreit auf: „Fehlentscheidung, menschliches Versagen, unwürdiger Rauswurf!“ Die Empörung ist groß, 600 schriftliche Proteste allein bei Facebook: Einen Shitstorm wie diesen hat Straubing noch nicht erlebt.

Vielleicht kann man die Trennung der Tigers von Trainer Tom Pokel aber auch anders betrachten.

Das beißt sich mit Balles These

Natürlich kann man hier sagen: Wenn ganz viele Menschen im Internet sagen, dass eine Management-Entscheidung falsch ist, dann ist sie falsch. Sonst würden die vielen Menschen im Internet das ja nicht sagen, nicht wahr. Das beißt sich zwar ein bisserl mit der These von Prof. Dr. Martin Balle, dass in Sachfragen das bauchgesteuerte Internet im Vergleich mit einer vernunftgesteuerten Zeitung nicht besonders oft richtig liegt; in diesem Fall aber scheint das wurscht, weil die Zeitung das auch sagt. Aber mei, warum kompliziert, wenn das Urteil ganz einfach sein kann.

Sicher ist Folgendes: Am 1. Januar hat mir ein Freund einen Screenshot geschickt. Es war der Schluss eines Artikels im Schweizer Nachrichtenportal watson.ch. Dort ist am 31. Dezember, direkt nach dem Spengler Cup-Finale, ein Artikel über den Spengler Cup-Sieger erschienen: „Gotteron – wenigstens Schweizer Meister der Herzen“. Der letzte Absatz dieses Artikels hatte die Zwischenüberschrift:

„Straubing-Trainer will in die Schweiz“

Und dann kam ein Satz: „Straubings Erfolgstrainer Tom Pokel (57) sucht nach acht Jahren eine neue Herausforderung. Am liebsten würde er in unserer National League arbeiten. Sportchefs, die einen Trainer suchen, können sich bei seinem Agenten Patrick Piloni melden.“

Watson.ch gilt als seriöses Medium. In den zehn Jahren seiner Existenz hat es fünf Schweizer „Journalisten des Jahres“ hervorgebracht. Wenn ein solches Medium zu solch einer Meldung gleich den Namen des Agenten eines wechselwilligen Spielers oder Trainers mitliefert, darf man auf den Gedanken kommen, dass diese Meldung tatsächlich stimmt. Und man darf davon ausgehen, dass Trainer beziehungsweise Agent das so wollten, und das ist auch Pokels gutes Recht. Es ist kein Verrat, keine Unehrlichkeit, sondern das, was er beruflich will.

Ein Pokel-Satz: „Es war ein Privileg“

Eine Folgerung daraus ist: Tom Pokel wäre nach der Saison sowieso gegangen. Jetzt war es halt ein paar Wochen früher, und der Grund könnte sein: Beide Seiten haben gesehen, dass das das Beste ist. Die Tiger haben es gesehen, und Tom Pokel auch: Es war offensichtlich im Einvernehmen.

Der Club hat Tom Pokel in seiner Pressemitteilung gewürdigt wie noch keinen Trainer vor ihm und zusätzlich eine offizielle Verabschiedung angekündigt. Das geht nur im Einvernehmen mit dem Trainer. Der wiederum dankt in der Trennungsmeldung neben den Fans auch dem Club, Gesellschaftern und Sponsoren, und er lässt sich zitieren mit Sätzen wie: „Es war ein Privileg, ein Teil der Geschichte der Straubing Tigers-Familie zu sein“ – da kann man doch auch auf den Gedanken kommen, dass wirklich beide mit dieser Trennung im Reinen sind.

Trennung im Interesse von allen

Der Grund für den Zeitpunkt liegt auf der Hand: Die Tigers waren von Anfang an unter ihren Erwartungen. Der Spengler Cup hat ein Problem noch einmal kurzzeitig überdeckt, aber nicht gelöst. Heute hat der Club nur noch zwei Punkte Vorsprung vor einem Nicht-Playoff-Platz.

Strittig ist nur, wer die Schuld für den Absturz hat: Spieler? Trainer? Manager? Aber ist das im Augenblick wichtig? Ein Trainer, der gehen will, eine Mannschaft, die von Spiel zu Spiel mehr abbaut, und ein Manager, der eine Saison retten muss: Da muss eine Trennung nicht unbedingt ein Fehler sein. Sie kann im Interesse von allen Beteiligten sein.

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