Demo am Ludwigsplatz
Foto: Engel
Wie viele Menschen werden es gewesen sein? „650“, schätzt ein Polizeibeamter neben mir. Für Straubing ist das immer noch viel, auch wenn es deutlich weniger sind als die 3 000 vor ziemlich genau einem Jahr. Hasso von Winning sagt den 650, dass es darum geht, die Demokratie zu verteidigen: „Sie tun das hier!“, und nach seiner Rede schreien ein paar junge Menschen: „Alle! Zusammen! Gegen den Faschismus!“ Aber ist das denn wirklich ein Beitrag im Kampf gegen den Faschismus?
Nach der Kundgebung komme ich ins Gespräch mit einer Frau. Sie war auf dem Ludwigsplatz, um Präsenz zu zeigen für die Demokratie, genau wie ein Mann, mit dem ich kurz vor Beginn gesprochen habe. „Hinter mir hat dann eine Gruppe ‚Wir hassen die AfD!‘ gerufen“, sagt die Frau. Sie ist gegen die AfD, aber sie ist auch gegen Hass und auch gegen Hetze. Sie findet, das muss für alle gelten.
Wann eine „katastrophale Lage“ droht
Warum sinken die Zahlen für die AfD nicht, obwohl es so viele Kundgebungen gegen sie gibt? Warum steigen sie? Gibt es kein Mittel gegen die AfD? Oder setzen wir als Politik und Gesellschaft einfach nur auf die falschen Mittel?
Ich habe an diesem Wochenende ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba von der Uni Erlangen gelesen. Er forscht seit Jahren zur Clankriminalität. Im Interview bescheinigt er Syrern einen hohen Integrationswillen und warnt gleichzeitig vor enormen kriminellen Strukturen, die derzeit entstehen. Er sagt, dass das Problem immer größer wird und längst nicht mehr begrenzt ist auf Städte wie Essen, Berlin oder Hannover.
„Das gesamte System ist überfordert“, sagt Jaraba, „die Polizei, die Sozialarbeiter, die Gerichte, einfach alle. Und wir werden in den kommenden Jahren einen weiteren Anstieg der Kriminalität erleben, uns droht eine katastrophale Lage.“
Dann wird er gefragt, ob ein härteres Vorgehen gegen diese Strukturen gefordert ist, und er sagt: „Hochrepressive Maßnahmen sind das Wichtigste. Besonders Jugendliche müssen spüren, dass es Grenzen und Gesetze gibt. Viele Leute verstehen bis heute nicht, wie unser System, wie unser Staat in Deutschland funktioniert. Deswegen dominiert bei Jugendlichen und auch einem großen Teil der Kriminellen das Narrativ, dass sie machen könnten, was sie wollen, ohne Konsequenzen zu spüren. Und sie kommen damit durch. Wir wissen von Jugendlichen, die begehen 20, 30 Straftaten, bevor sie erwischt oder verurteilt werden. Das ist ein großes Problem.“
Das Gefühl, dass es näher kommt
Ich glaube, das ist der Punkt. Die Menschen lesen in der Zeitung von einem 22-jährigen Intensivtäter aus Tunesien, der in einem Regionalzug nach Regensburg einem Fahrgast eine Bierflasche über den Kopf gezogen hat. Sie lesen von einem Überfall auf eine Frau in ihrer Wohnung in Rattenberg und auf eine Frau in Straubing, Täter immer mit gebrochenem Deutsch. Da entsteht das Gefühl, dass das ziemlich nah am eigenen Leben ist.
Auf der Kundgebung sagen die Redner, dass die Feinde der Demokratie gegen alle Ausländer und gegen alle Migranten hetzen. Aber ist das der Grund, warum Menschen AfD wählen? Ist nicht eher der Grund, dass sie zu oft hören, lesen oder selber erleben, dass Menschen, die als Straf- und Intensivtäter behördenbekannt sind, frei durch die Straßen laufen?
Der Staat muss handeln
Den allermeisten der vermutlich 21 Prozent, die in zwei Wochen AfD wählen werden, geht es nicht darum, „alle Migranten“ zu stigmatisieren. Als die AfD einem Unionsantrag zugestimmt hat, war das Grund genug für den SPD-Kandidaten Marvin Kliem, „Ich hab Angst. Ich hab Panik“, zu posten. Ist es da nicht zu verstehen, dass andere Menschen auch Angst um die Innere Sicherheit haben? Und die AfD Stimmen fängt, weil das kein Thema ist, auch nicht für „Wir sind bunt“?
Wenn das Kriminalitätsproblem größer wird, wie Mahmoud Jaraba voraussagt, dann wird auch die AfD größer. Wenn es kleiner wird,wird die AfD kleiner. Die AfD ist nicht das Problem an sich, sie ist ein Symptom. Gefordert ist ein handlungsstarker Staat.