Bürokratieabbau
Florian und Robert Paulus. Foto: Engel
„Also, zum Beispiel“, sagt Florian Paulus: „Seit 50 Jahren stellen wir Gerüste auf. Wir können das, seit 50 Jahren. Wir wissen, wie’s geht.“ Vor gut einem halben Jahr hat er ein Online-Seminar gemacht, Thema: „Gerüste aufstellen auf öffentlichem Grund.“ Da geht es darum, dass man Warnschilder dranhängt und nachts Lichter, wenn man auf einem Gehsteig ein Gerüst aufstellt. Hat er schon immer so gemacht, auch ohne Seminar. Aber jetzt hat er ein Zertifikat.
„Dieses Zertifikat“, steht darauf, „dient als Nachweis der Eignung und Qualifikation gemäß ZTV-SA 97 und MVAS 1999.“ 160 Euro Teilnahmegebühr und 8,5 Arbeitsstunden hat ihn das gekostet. Aber er muss. Das Zertifikat ist seit einiger Zeit Pflicht.
Florian Paulus hat eine Maler-Firma. „Dass man einen Schein macht, ist jetzt bei Vielem verpflichtend“, sagt er, „und nicht nur für den Chef, sondern oft auch für den einzelnen Mitarbeiter.“ Der Umgang mit Isocyanaten in Lacken zum Beispiel: Seit August 2023 ist ein Zertifikat Pflicht. Der Laie kann’s weiter in jedem Baumarkt kaufen, aber der Fachmann braucht jetzt ein Zertifikat und davor ein Seminar. Und das kostet ihn immer Zeit und Geld.
Täglich neue Vorschriften
13.000 neue Regulierungen hat die EU in den vergangenen fünf Jahren erlassen, sagt der EU-Wettbewerbsfähigkeits-Beauftragte Mario Draghi, und die USA nur 5 000. Das sind 7,123 neue Regelungen in der EU jeden Tag, Wochenenden mit eingerechnet. Ohne Wochenende sind es 11,3 neue Regulierungen, 11,3 an jedem einzelnen Arbeitstag. Und dann gibt es auch noch das deutsche Recht. Das haut zusätzlich Vorschriften drauf. Vieles davon betrifft das Handwerk.
„Fast jeden Tag kommt ein E-Mail mit neuen Vorschriften“, sagt Florian Paulus, „kürzlich zum Beispiel der Kleine Asbestschein, ‚Untersuchungspflicht für Gebäude mit Baujahr bis 31.10. 1993‘.“ Zu einigen Kursen im März und Mai sind noch Restplätze frei, 758 Euro Kursgebühr, und weil die Kurse nicht Online sind, sondern in bestimmten Städten, kommen noch 100 Euro für zwei Tage Raum- und Verpflegungspauschale dazu. Da summieren sich Zeit und Geld.
Es gibt immer mehr Seminare und Kosten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) taxiert die jährlichen Kosten der Unternehmen für die Einhaltung der Vorschriften allein in Deutschland auf 1,58 Milliarden Euro, plus 848 Millionen Euro als Einmalkosten. Am Ende zahlt alles der Kunde. Logisch, dass Handwerkerstunden immer teurer werden. Es liegt auch am Staat.
Problem: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Dokumentationspflicht für die Lacke im Firmenwagen, Plan einreichen für die exakte Beschilderung eines Gerüsts, und dann noch Zeit- und Energiefresser wie das große Monster Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Immer öfter schieben größere Kunden Anforderungen auf die Handwerker ab. Sie verlangen von den Handwerksunternehmen das Ausfüllen von umfangreichen Nachweislisten, weil 'Lieferketten' im Gesetz unklar definiert ist und sie auf Nummer Sicher gehen wollen.
Die Buchführung wird komplizierter, zeitaufwendiger, teurer. Immer neue Software-Programme zu Sozialversicherungs- und Steuerthemen werden notwendig. Manchmal reicht das Leistungsvermögen des Computers nicht aus. Dann muss für einen funktionierenden guten Computer ein besserer neuer her.
Selbständig machen? Will kaum noch einer
Noch vor 20 Jahren war für vier von fünf jungen Meistern Selbständigkeit im eigenen Unternehmen das Ziel. Heute will das laut einer Verbandsumfrage nur noch einer von drei. Sie erleben an ihrem Chef, was Bürokratismus heißt: Der Chef geht abends nicht heim, er geht ins Büro. Dokumentationspflichten, Berufsgenossenschaft, Krankenkassen. „Oft ist nicht erkennbar“, sagt der Verband, „wozu die Zählung von Umsatz, produktiven Stunden, Mitarbeiterzahl, Investitionen und Lohnsummen genutzt wird.“
Als Florians Großvater seinem Vater übergeben hat, ist im Amt der Inhaber-Name geändert worden. Das war’s. „Heute“, sagt sein Vater Robert, „musst du eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts dafür gründen, du brauchst einen Notar und einen Steuerberater. Und alles kostet. Aber wenn du das nicht machst, zahlst du Erbschaftssteuer, die du dir gar nicht leisten kannst.“ Und er sagt: „Ich bewundere jeden, der sich heute noch selbständig macht.“ Es sind nicht mehr viele. Ja, alle reden vom Bürokratieabbau, in Brüssel, Berlin, München und Straubing. Aber wo ist er denn eigentlich?